Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
erfunden hat, damit die Zeitungen etwas über ihn berichten konnten. Außerdem interessiert es uns doch gar nicht, wie viele Schiffe er besitzt - wir wollen vielmehr wissen, wo er in die Kunst der schwarzen Magie eingeführt wurde und von wem.«
»Und warum er Schattenjäger hasst«, fügte Tessa hinzu.
Will bedachte sie mit einem trägen Blick aus seinen blauen Augen. »Hegt er wirklich Hassgefühle?«, fragte er. »Ich bin bisher immer davon ausgegangen, dass es sich in seinem Falle schlicht um Machtgier handelt. Wenn wir erst einmal aus dem Weg geräumt sind, kann er mit seiner Klockwerk-Armee einfach die Herrschaft an sich reißen.«
Tessa schüttelte den Kopf. »Nein, da steckt mehr dahinter. Es lässt sich nur schwer erklären, aber ... er hasst die Nephilim. Für ihn ist das Ganze eine sehr persönliche Angelegenheit. Und es hängt irgendwie mit dieser Uhr zusammen. Es ... es scheint, als verlange er Sühne für ein Unrecht oder eine Kränkung, welche die Nephilim ihm zugefügt haben.«
»Wiedergutmachung«, stieß Jem plötzlich hervor und legte den Federhalter beiseite, den er in der Hand hielt.
Verwirrt musterte Will seinen Freund. »Ist das jetzt eine Art Spiel? Wir platzen einfach ungeniert mit jedem Wort heraus, das uns gerade in den Sinn kommt? In diesem Falle hätte ich ›Genuphobie‹ anzubieten. Es bezeichnet die unangemessene Angst vor Knien.«
»Und wie heißt noch mal das Wort für die vollkommen angemessene Angst vor nervigen Blödmännern?«, erkundigte Jessamine sich.
»Die Wiedergutmachungsabteilung des Archivs«, murmelte Jem und ignorierte die beiden Streithähne. »Der Konsul hat während der Sitzung davon gesprochen und seitdem spukt mir der Begriff im Kopf herum. Dort haben wir noch nicht gesucht.«
»Wiedergutmachung?«, fragte Tessa.
»Wenn ein Schattenweltler - oder ein Irdischer - vorbringt, ein Nephilim habe im Umgang mit ihnen gegen das Gesetz verstoßen, dann legt der Schattenweltler beim Dezernat für Reparationsleistungen offiziell Beschwerde ein. Es erfolgt dann ein Gerichtsverfahren, und wenn der Schattenweltler seine Behauptungen beweisen kann, wird ihm eine Wiedergutmachung zuerkannt.«
»Nun, es erscheint mir ein wenig töricht, dort nach nützlichen Informationen zu suchen«, wandte Will ein. »Es ist ja nicht so, als würde Mortmain auf offiziellem Wege eine Beschwerde gegen die Nephilim einreichen. ›Bin sehr verstimmt über die Weigerung aller Schattenjäger zu sterben, wo dies doch mein inniglichster Wunsch war. Verlange Entschädigung. Barscheck bitte an folgende Adresse: A. Mortmain, 18 Kensington Road ...‹«
»Genug gespottet«, tadelte Jem. »Vielleicht hat Mortmain die Nephilim ja nicht immer gehasst. Möglicherweise gab es einmal eine Zeit, in der er auf dem Amtsweg eine Kompensation zu erhalten versucht hat, aber enttäuscht wurde. Was kann es schon schaden nachzuhaken? Schlimmstenfalls fördern wir nichts zutage und stehen mit leeren Händen da - also genau dort, wo wir auch jetzt sind.« Jem erhob sich und schob sich die silberhellen Haare aus der Stirn. »Ich versuche, Charlotte noch zu erwischen, bevor Bruder Enoch in die Stadt der Stille zurückkehrt. Sie soll ihn bitten, im dortigen Archiv nachzusehen.«
Sofort sprang auch Tessa auf. Der Gedanke, mit Will und Jessamine allein in der Bibliothek zurückzubleiben, behagte ihr nicht. Die beiden lagen sich ständig in den Haaren. Natürlich war da noch Henry, aber er schien auf einem Stapel Bücher ein kleines Schläfchen zu halten und war selbst unter normalen Umständen kein großer Puffer zwischen den beiden Streithähnen. Und in Wills Gegenwart fühlte sie sich meistens unbehaglich; nur in Jems Gesellschaft ließ er sich einigermaßen ertragen. Irgendwie gelang es Jem, Wills scharfe Ecken und Kanten abzuschwächen und ihn zu einem beinahe normalen Menschen zu machen. »Ich begleite dich, Jem«, sagte Tessa darum. »Ich ... ich wollte ohnehin etwas mit Charlotte besprechen.«
Jem wirkte überrascht, aber erfreut; Will schaute von Tessa zu Jem und schob ruckartig seinen Stuhl nach hinten. »Wir haben schon viel zu lange inmitten dieser modernden, alten Bücher verbracht«, verkündete er. »Meine wunderschönen Augen sind ermattet und ich habe mir die Finger am Papier geschnitten. Seht ihr?« Er spreizte die Finger. »Ich werde einen Spaziergang machen.«
Tessa konnte sich einfach nicht zurückhalten und schlug vor: »Vielleicht solltest du sie einfach mit einer Iratze behandeln.«
Will
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