Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince
Tessa plötzlich ein leises Klopfen an ihrer Tür hörte.
Im nächsten Moment betrat Sophie das Zimmer und hielt ihr ein Silbertablett entgegen. »Ein Brief für Sie, Miss.«
Verwundert legte Tessa ihre Lektüre beiseite. »Post für mich?«
Sophie nickte, trat näher und reichte ihr das Tablett. »Ja, aber es steht kein Absender darauf. Beinahe hätte Miss Lovelace sich den Brief geschnappt, aber ich konnte sie gerade noch daran hindern, diese Jungfer Naseweis.«
Tessa nahm den Umschlag vom Tablett. Er bestand aus dickem cremefarbenem Papier und war in der Tat an sie adressiert, in einer schrägen, ihr nicht bekannten Handschrift. Nachdenklich drehte Tessa den Brief einmal um und wollte sich gerade daranmachen, ihn zu öffnen, als sie Sophies große, neugierige Augen in der Spiegelung der Fensterscheibe sah. Langsam wandte sie sich ihr zu und sagte lächelnd: »Das wäre dann alles, Sophie.« Auf diese Weise entließen Romanheldinnen immer ihre Dienstboten, wusste Tessa und es erschien ihr in diesem Moment durchaus passend.
Mit enttäuschter Miene nahm Sophie das Tablett und rauschte aus dem Raum.
Tessa sah ihr nach, faltete dann den Brief auseinander und strich ihn auf dem Schoß glatt.
Meine verehrte Miss Gray,
ich schreibe Ihnen, um mich für einen gemeinsamen Freund bei Ihnen zu verwenden - ein gewisser William Herondale. Es ist mir durchaus bekannt, dass es zu seinen Gepflogenheiten zählt, das Institut ganz nach Belieben zu betreten und zu verlassen - meistens zu verlassen -, und dass aus diesem Grund möglicherweise einige Zeit verstreichen wird, ehe seine Abwesenheit für Aufregung sorgt. Aber als jemand, der Ihren gesunden Menschenverstand sehr zu schätzen weiß, bitte ich Sie, seine diesmalige Abwesenheit nicht als gewöhnlich und vernachlässigenswert zu betrachten. Denn ich habe ihn gestern Abend persönlich gesehen und er war, gelinde gesagt, recht verstört, als er mein Haus verließ. Ich habe Grund zu der Annahme, dass er sich möglicherweise ein Leid antun könnte, und deshalb schlage ich vor, dass man seinen derzeitigen Aufenthaltsort ausfindig macht und sich seines Wohlergehens vergewissert. Unser gemeinsamer junger Freund macht es einem nicht leicht, ihn zu mögen, aber ich glaube, dass auch Sie das Gute in ihm sehen, so wie ich es tue, Miss Gray, und genau aus diesem Grund richte ich mein Schreiben an Sie ...
Ihr ergebener Diener,
Magnus Bane
Postscriptum: An Ihrer Stelle würde ich Mrs Branwell über den Inhalt dieses Schreibens nicht in Kenntnis setzen. Nur eine Empfehlung ...
M. B.
Obwohl Magnus’ Brief in Tessa ein Gefühl nagender Unruhe auslöste, das wie flüssiges Feuer durch ihre Adern zu strömen schien, gelang es ihr irgendwie, den restlichen Nachmittag und sogar das Abendessen zu überstehen, ohne nach außen hin verdächtige Anzeichen ihrer inneren Qualen preiszugeben - zumindest hoffte sie das. Und Sophie erschien ihr an diesem Abend quälend langsam: Sie benötigte eine halbe Ewigkeit, um ihr beim Entkleiden zu helfen, die Haare zu bürsten, das Feuer im Kamin zu schüren und ihr den neuesten Klatsch zu erzählen. (Cyrils Cousin arbeitete im Haushalt der Familie Lightwood und wusste zu berichten, dass Tatiana - Gabriels und Gideons frisch vermählte Schwester - jeden Moment mit ihrem Ehemann aus den Flitterwochen zurückkehren würde, die sie auf dem Kontinent verbracht hatten. Die gesamte Dienerschaft war in Aufruhr, da sie, Gerüchten zufolge, ein höchst unangenehmes Wesen besaß.)
Daraufhin murmelte Tessa, dass Tatiana offenbar ganz nach ihrem Vater schlug. Doch die innere Ungeduld ließ ihre Stimme krächzen und sie konnte Sophie nur mit sehr viel Mühe daran hindern, nach unten in die Küche zu laufen und ihr einen Pfefferminztee zu holen. Tessa musste ihr beharrlich versichern, sie sei nur furchtbar erschöpft und brauche ihren Schlaf jetzt dringender als einen Kräuteraufguss.
In dem Moment, in dem sich die Tür hinter Sophie schloss, war Tessa auch schon wieder auf den Beinen. Sie schlüpfte aus ihrem Nachthemd und in ihr Kleid, wobei sie ihr Korsett nach bestem Vermögen selbst schnürte, und warf sich dann eine kurze Jacke über. Nach einem vorsichtigen Blick in den Flur schlich sie aus ihrem Zimmer und huschte quer über den Gang zu Jems Zimmer, wo sie leise anklopfte. Einen Moment lang geschah gar nichts und Tessa fürchtete schon, dass er bereits zu Bett gegangen sei, doch dann wurde die Tür aufgerissen und Jem erschien im Rahmen.
Er war ganz
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