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Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince

Titel: Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Clare
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hatte sie sich zuvor schon als jemand anderes ausgegeben, aber noch nie in ihrer eigenen Gestalt und mit ihrem eigenen Gesicht. Aus irgendeinem Grund beängstigte sie der Gedanke, jemandem eine Lüge aufzutischen, ohne sich dabei hinter einer Maske zu verstecken. Sie konnte nur hoffen, dass Gottshall übertrieb, aber irgendetwas - vielleicht das Funkeln in seinen Augen, mit dem er sie betrachtete - verriet ihr, dass dies sehr wahrscheinlich nicht der Fall war.

5
DIE SCHATTEN
DER VERGANGENHEIT
    Doch Dämonen, schwarze Sorgen,
Stürzten roh des Königs Thron. -
Trauert, Freunde, denn kein Morgen
Wird ein Schloss wie dies umlohn!
Was da blühte, was da glühte
- Herrlichkeit! -
Eine welke Märchenblüte
Ist’s aus längst begrab’ner Zeit.
    EDGAR ALLAN POE,
»DAS GEISTERSCHLOSS«
[10]
    Tessa nahm das großzügige Innere des Bahnhofs kaum wahr, als sie Starkweathers altem Diener durch die Eingangshalle folgten. Hier drängten sich deutlich mehr Reisende. Tessa wurde ein paar Mal versehentlich angestoßen, während ihr gleichzeitig der Geruch von Kohlenfeuer und Essen in die Nase drang und sie aus dem Augenwinkel die Hinweisschilder für die Zugverbindungen der »Great Northern Railway Company« und der »York and North Midland Railway Company« sah. Doch schon bald standen sie auf dem Bahnhofsvorplatz, unter einem bleigrauen, regenschweren Himmel. Gottshall führte sie eilig zu einem Grandhotel am anderen Ende des Bahnhofsgebäudes, wo bereits eine schwarze Kutsche mit dem Emblem der Nephilim - vier Mal der Buchstabe C - auf sie wartete. Nachdem sie das Gepäck verstaut hatten und eingestiegen waren, fuhr die elegante Equipage los und fädelte sich kurz darauf in den Verkehr auf der Tanner Row ein.
    Will schwieg fast während der gesamten Fahrt, trommelte lediglich unruhig mit seinen schlanken Fingern auf den Knien und schaute gedankenverloren aus dem Fenster. Dagegen bemühte Jem sich, Tessa zu unterhalten: Er zog die Vorhänge auf ihrer Seite der Kutsche zurück und zeigte ihr die verschiedenen Sehenswürdigkeiten am Rande der Strecke: der Friedhof, auf dem die Opfer einer Cholera-Epidemie bestattet lagen, und die alte graue Stadtmauer, die sich vor ihnen erhob und deren Zinnen an das Muster auf seinem Ring erinnerten. Nachdem sie die Mauer passiert hatten, wurden die Gassen enger. Der Anblick erinnerte Tessa an London, allerdings in einem kleineren Maßstab. Selbst die Geschäfte, an denen sie vorbeifuhren - eine Metzgerei und ein Tuchhändler - wirkten fast wie Puppenhäuser. Zudem waren die Passanten - hauptsächlich Männer, die über die Gehwege eilten, das Kinn gegen den einsetzenden Nieselregen tief im Kragen verborgen - weniger modisch gekleidet. Sie erschienen Tessa »ländlicher«, so wie die Farmer, die gelegentlich nach Manhattan kamen und die sich an der geröteten Haut ihrer großen Hände und den wettergegerbten Gesichtern leicht erkennen ließen.
    Die Kutsche bog aus einer schmalen Gasse auf einen großen Platz und Tessa hielt bewundernd den Atem an. Vor ihnen erhob sich eine prächtige Kathedrale, deren gotische Ecktürme den grauen Himmel durchbohrten wie Pfeile einst den heiligen Sebastian. Ein wuchtiger Kalksteinturm überragte das Kirchengebäude und in den Nischen des Eingangsportals standen hohe Steinfiguren, jede von Hand gemeißelt.
    »Ist das das Institut? Du meine Güte, es ist so viel imposanter als das Institut in London ...«, setzte Tessa an.
    Will lachte. »Manchmal ist eine Kirche einfach nur eine Kirche, Tess.«
    »Das hier ist York Minster. Der Stolz der ganzen Stadt«, erklärte Jem. »Aber es ist nicht das Institut, denn das befindet sich in der Goodramgate Street.« Wie zur Bestätigung seiner Worte entfernte sich die Kutsche im nächsten Moment von der Kathedrale, ratterte durch die Deangate und bog dann in eine schmale Kopfsteingasse - Goodramgate - ein, wo sie nach wenigen Metern unter einem Eisentor zwischen zwei Häusern im Tudor-Stil hindurchfuhren.
    Als sie das Tor passierten, erkannte Tessa, warum Will gelacht hatte. Vor ihnen tauchte eine hübsche, kleine Kirche auf, umgeben von hohen Mauern und saftigem Gras, aber nicht im Geringsten mit der Pracht der Yorker Kathedrale zu vergleichen. Als Gottshall vom Kutschbock kletterte, den Schlag aufriss und Tessa aus der Kutsche half, sah sie vereinzelte Grabsteine aus der regennassen Wiese aufragen - als hätte jemand den halbherzigen Versuch unternommen, einen Friedhof zu errichten, nach einer Weile aber das Interesse

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