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Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince

Titel: Chroniken der Schattenjäger 2 - Clockwork Prince Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cassandra Clare
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der Sekunde, als Tessas Nerven vor Ungeduld förmlich zu sirren begannen, schlug er die Lider wieder auf. »Brick Lane, in der Nähe der Whitechapel High Street«, murmelte er fast wie zu sich selbst. Dann steckte er Dolch und Stele wieder ein und beugte sich aus dem Fenster, um Cyril dieselben Worte zuzurufen. Einen Augenblick später saß er wieder in der Kutsche und schloss das Fenster gegen die eisige Luft, während die Kutsche sich in Bewegung setzte und über das Pflaster rumpelte.
    Tessa holte tief Luft. Den ganzen Tag hatte sie nach Will Ausschau gehalten, sich Sorgen um ihn gemacht, sich gefragt, wo er wohl steckte - doch nun, da sie durch die dunklen Gassen in das düstere Zentrum der Stadt rollten, verspürte sie nichts als Angst.

9
BLINDE MITTERNACHT
    Blinde Mitternacht, Morgen in Schauer
Und Liebe, verflucht und begehrt,
Alle Freuden des Fleischs, alle Trauer,
Die Seelen versehrt.
    ALGERNON CHARLES SWINBURNE,
»DOLORES«
[15]
    Tessa ließ den Vorhang auf ihrer Seite der Kutsche zurückgeschoben und heftete den Blick auf die Fensterscheibe, während sie durch die Fleet Street in Richtung Ludgate Hill fuhren. Der Nebel war noch dichter geworden und sie konnte nur wenig in den gelblichen Schwaden ausmachen - die dunklen Schemen hin und her eilender Passanten, die unscharfen Buchstaben von aufgemalten Werbesprüchen an den Hausmauern. Von Zeit zu Zeit lichteten sich die Schwaden und gaben kurz den Blick frei auf Gestalten und Gegenstände, die sich auf dem Gehweg befanden: ein kleines Mädchen, das einen Korb mit verwelkenden Lavendelsträußchen hielt und erschöpft an einer Mauer lehnte; ein Scherenschleifer, der seinen Karren müde heimwärts zog; eine Werbetafel für Schwefelhölzer der Marke »Bryant and May«, die plötzlich aus der Dunkelheit auftauchte.
    »Wegwerfware«, sagte Jem. Er lehnte an der Rückbank und seine Augen leuchteten im Dämmerlicht.
    Tessa fragte sich, ob er vor ihrem Aufbruch wohl etwas von seiner Arznei genommen hatte und wenn ja, wie viel. »Was meinst du, bitte?«, fragte sie nun verwundert.
    Pantomimisch stellte Jem dar, wie er ein Streichholz entzündete, es ausblies und anschließend über die Schulter warf. »So nennt man hier in London Schwefelhölzer: ›Wegwerfware‹, weil man sie nach einmaligem Gebrauch wegwirft. Und genauso bezeichnet man auch die Mädchen, die in den Schwefelholzfabriken arbeiten.«
    Tessa musste an Sophie denken, die auch als »Wegwerfware« hätte enden können, wenn Charlotte sie nicht gefunden hätte. »Das ist grausam und unbarmherzig.«
    »Der gesamte Stadtteil, zu dem wir gerade fahren, ist grausam und unbarmherzig. Das East End. Das Elendsquartier.« Jem beugte sich vor. »Ich möchte, dass du gleich, wenn wir dort ankommen, vorsichtig bist und dich immer in meiner Nähe aufhältst.«
    »Weißt du, was Will in Whitechapel treibt?«, fragte Tessa, obwohl sie sich vor der Antwort fast fürchtete. Im selben Augenblick passierten sie das imposante Gebäude der St. Paul’s Cathedral, die über ihnen auftauchte wie der schimmernde Marmorgrabstein eines Riesen.
    Jem schüttelte den Kopf. »Ich kann es dir nicht sagen. Die Ortungsrune gibt mir nur eine vage Ahnung - ein flüchtiges Bild einer Straße. Ich muss allerdings dazu sagen, dass es nach Anbruch der Dunkelheit nur wenige harmlose Gründe für einen Gentleman gibt, sich nach ›Chapel‹ zu begeben ...«
    »Er könnte sich beim Kartenspiel vergnügen ...«
    »Natürlich, das könnte er.« Jem nickte, aber seine Stimme klang, als hätte er seine Zweifel.
    »Du hast gesagt, du würdest es spüren. Hier.« Tessa berührte die Stelle über ihrem Herzen. »Du würdest es fühlen, wenn ihm etwas zugestoßen wäre. Hängt das damit zusammen, dass ihr Parabatai seid?«
    »Ja.«
    »Dann ist damit also mehr verbunden, als nur einen Eid abzulegen und zu schwören, aufeinander aufzupassen. Das Ganze hat also auch eine ... eine mystische Komponente.«
    Jem schenkte Tessa ein Lächeln - jenes Lächeln, das warm und einladend wirkte wie ein hell erleuchtetes Haus in der Dunkelheit. »Wir sind Nephilim. Jeder Übergang zu einem neuen Abschnitt in unserem Leben besitzt eine mystische, symbolische Komponente: Geburt, Tod, Heirat ... all diese Dinge sind mit einer Zeremonie verbunden. Und auch wenn man der Parabatai eines anderen Schattenjägers werden möchte, erwartet einen ein besonderes Ritual. Aber selbstverständlich muss man den anderen zuerst einmal fragen. Schließlich geht man damit nicht gerade

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