Chroniken der Unterwelt Bd. 1 City of Bones
noch besser war, sie an die Welt der Irdischen zu verlieren als an den Tod, stimmte ich ihren Plänen letztlich widerstrebend zu.
Dann kam der Moment unseres Abschieds am Flughafen. Und die letzten Worte, die Jocelyn in dieser trostlosen Abflughalle zu mir sagte, trafen mich bis ins Mark: »Valentin ist nicht tot.«
Nachdem sie verschwunden war, kehrte ich zu meinem Rudel zurück, doch ich fand keinen Frieden dort. Eine unstillbare Sehnsucht ließ mich nicht mehr los und jeden Morgen erwachte ich mit ihrem Namen unausgesprochen auf meinen Lippen. Ich wusste, dass ich nicht mehr der Anführer war, der ich einst gewesen war. Ich handelte gerecht und fair, blieb aber immer distanziert und ich fand unter den Wolfsmenschen weder Freunde noch eine Gefährtin. Letzten Endes war ich zu sehr Mensch, zu sehr Schattenjäger, um unter Werwölfen wirklichen Frieden zu finden. Ich ging auf die Jagd, doch auch das schenkte mir keine Befriedigung; und als die Zeit für die Unterzeichnung des Abkommens endlich gekommen war, ging ich in die Stadt, um meine Unterschrift zu leisten.
In der Großen Halle des Erzengels, in der man inzwischen sämtliche Spuren jener blutigen Nacht beseitigt hatte, trafen sich die Schattenjäger und die vier Rassen der Halbmenschen ein weiteres Mal, um jenes Abkommen zu unterzeichnen, das uns allen den Frieden bringen würde. Ich war überrascht, die Lightwoods anzutreffen, die ihrerseits genauso überrascht schienen, dass ich noch lebte. Sie erzählten, dass sie neben Hodge Starkweather und Michael Wayland die einzigen Mitglieder des Kreises seien, die jene Nacht in der Großen Halle überlebt hätten. Michael, der die Trauer über den Verlust seiner Frau nicht verwinden konnte, hatte sich zusammen mit seinem jungen Sohn auf sein Landgut zurückgezogen. Die anderen drei waren vom Rat mit Verbannung bestraft worden: Sie würden bald nach New York aufbrechen, um das dortige Institut zu leiten. Dabei waren die Lightwoods dank ihrer Beziehungen zu den höchsten Kreisen des Rates mit einer viel leichteren Strafe davongekommen als Hodge. Der Rat hatte ihn mit einem Fluch belegt: Er sollte mit den Lightwoods nach New York gehen, doch sobald er versuchte, den geweihten Boden des dortigen Instituts zu verlassen, würde er augenblicklich einen grausamen Tod sterben. Hodge wollte sich in New York seinen Studien widmen, erzählten sie, und würde ihren Kindern bestimmt ein großartiger Tutor sein.
Nach der Unterzeichnung des Abkommens erhob ich mich von meinem Stuhl, verließ die Halle und ging hinunter zum Fluss, wo ich Jocelyn in jener Nacht gefunden hatte. Ich stand dort, betrachtete die dunklen Fluten und wusste, ich würde in meiner Heimat nie mehr Frieden finden. Ich wollte bei ihr sein und nirgendwo sonst. Damals nahm ich mir vor, sie zu suchen.
Ich verließ mein Rudel und ernannte einen anderen Anführer – ich glaube, sie waren erleichtert, dass ich fortging. Ich reiste so, wie ein Wolf ohne Rudel reist: allein, immer bei Nacht, auf den Nebenstraßen und Landstraßen. Als Erstes kehrte ich nach Paris zurück, fand aber dort keine Spur mehr von ihr. Von dort aus fuhr ich nach London und nahm schließlich ein Schiff nach Boston.
Nach einer Weile in dieser Stadt ging ich schließlich in die Weißen Berge des hohen Nordens. Lange Jahre blieb ich auf Reisen, doch mit der Zeit dachte ich immer häufiger an New York und an die Schattenjäger, die dort im Exil lebten. In gewisser Weise war das ja auch Jocelyns Schicksal. Irgendwann kam ich in New York an, mit nichts als einer Reisetasche in der Hand; ich hatte keine Ahnung, wo ich nach deiner Mutter suchen sollte. Es wäre ein Leichtes gewesen, ein Wolfsrudel zu finden und mich ihm anzuschließen, doch ich widerstand der Versuchung. Stattdessen sandte ich, wie schon in anderen großen Städten, Botschaften in die Schattenwelt aus mit der Frage, ob irgendjemand Jocelyn gesehen hatte. Doch es kam keine Antwort, nichts – es schien, als ob sie ohne einen Hinweis in der Welt der Irdischen verschwunden war. Langsam begann ich zu verzweifeln.
Schließlich fand ich sie durch einen Zufall. Eines Tages streifte ich ziellos durch die Straßen von SoHo, als mir im Fenster einer Galerie auf der Broome Street ein Gemälde ins Auge fiel. Es handelte sich um die Darstellung einer Landschaft, die ich sofort wiedererkannte: der Blick aus dem Fenster ihres Elternhauses. Grüne Rasenflächen führten in einem kühnen Schwung hinunter zu einer Baumreihe, welche die
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