Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
flüchtig an die Kehle, als wollte sie den nicht existenten Pulsschlag überprüfen.
»Oh«, murmelte sie. »Welch eine günstige Fügung des Schicksals, Simon. Welch ein Glück.«
»Das ist ein Fluch, kein Segen, das wissen Sie doch wohl, oder?«
Camilles Augen funkelten. » ›Und Kain sprach zu Jehova: Zu groß ist meine Strafe, um sie zu tragen.‹ Ist sie größer, als du ertragen kannst, Simon?«
Simon lehnte sich zurück und ließ seine Haare wieder in die Stirn fallen. »Ich kann es ertragen.«
»Aber du willst es nicht.« Camille fuhr mit einem behandschuhten Finger über den Rand ihres Weinglases, den Blick noch immer auf Simon geheftet. »Was würdest du sagen, wenn ich dir einen Weg zeige, wie du den von dir sogenannten ›Fluch‹ in einen Segen verwandeln kannst?«
Ich würde sagen: Endlich kommst du zur Sache und verrätst mir, warum du mich hierherzitiert hast, was immerhin ein Anfang ist.
»Ich höre.«
»Als ich mich dir vorgestellt habe, hast du meinen Namen wiedererkannt«, setzte Camille an. »Raphael hat mich früher also schon einmal erwähnt. So ist es doch, oder?« Sie sprach mit einem Akzent, einer leicht fremdländischen Sprachfärbung, die Simon jedoch nicht zuordnen konnte.
»Er meinte, Sie seien die Anführerin des Vampirclans und er handle nur als Ihr Stellvertreter, solange Sie fort seien. Er würde sie repräsentieren wie ein … ein Vizepräsident oder so was.«
»Ah.« Camille biss sich sanft auf die Unterlippe. »Genau genommen entspricht das nicht ganz den Tatsachen. Ich würde dir gern die Wahrheit erzählen, Simon. Denn ich möchte dir gern ein Angebot unterbreiten. Aber zunächst brauche ich dein Ehrenwort.«
»Ehrenwort? Worauf?«
»Darauf, dass alles, was wir beide heute Abend hier besprechen, vertraulich bleibt. Niemand darf etwas davon erfahren. Weder deine kleine rothaarige Freundin Clary noch eine der beiden jungen Damen, mit denen du angebandelt hast. Und auch keiner der Lightwoods. Niemand.«
Simon lehnte sich zurück. »Und was ist, wenn ich das nicht versprechen will?«
»Dann steht es dir frei zu gehen«, erklärte Camille. »Allerdings wirst du dann nie erfahren, was ich dir mitteilen möchte. Und das wäre ein großes Versäumnis, welches du sehr bedauern würdest.«
»Ich bin zwar neugierig«, räumte Simon ein, »aber ich weiß nicht, ob ich wirklich so neugierig bin …«
In Camilles Augen zeichnete sich eine Spur von Überraschung und Belustigung ab — und vielleicht sogar so etwas wie Respekt, dachte Simon. »Nichts von dem, was ich dir zu sagen habe, betrifft deine Freunde. Es wird weder ihre Sicherheit noch ihr Wohlergehen gefährden. Die auferlegte Verschwiegenheit ist zu meinem eigenen Schutz.«
Simon musterte sie skeptisch. Meinte sie das ernst? Vampire waren ja nicht wie Feenwesen, die nicht lügen konnten. Andererseits musste er sich eingestehen, dass er doch ziemlich neugierig war. »Okay. Ich werde Ihr Geheimnis wahren. Es sei denn, irgendetwas von dem, was Sie mir erzählen, bringt meine Freunde in Gefahr. In dem Fall ist unsere Abmachung null und nichtig.«
Camilles Lächeln wirkte frostig. Simon konnte ihr ansehen, dass sie es nicht schätzte, wenn man ihr keinen Glauben schenkte. »Nun gut«, sagte sie. »Vermutlich bleibt mir keine andere Wahl, da ich deine Hilfe wirklich dringend benötige.« Sie beugte sich vor und ihre schlanke Hand spielte mit dem Stiel ihres Weinglases. »Bis vor nicht allzu langer Zeit habe ich den Manhattaner Clan geleitet, und dies recht erfolgreich. Wir besaßen ein wundervolles Quartier in einem alten Vorkriegsgebäude in der Upper West Side … nicht dieses Rattenloch von einem Hotel, in dem Santiago meine Leute derzeit eingepfercht hat. Santiago — Raphael, wie du ihn nennst — war mein stellvertretender Kommandeur. Mein treuester Gefährte … zumindest hatte ich das immer angenommen. Bis ich eines Nachts herausfand, dass er Menschen umbrachte, aus purer Lust am Töten: Er trieb sie in dieses alte Hotel in Spanish Harlem, trank ihr Blut und warf ihre Knochen dann in den Müllcontainer neben dem Gebäude. Er ging unnötige Risiken ein und verstieß gegen den Bündnisvertrag.« Camille nahm einen Schluck Wein. »Als ich ihn mit diesen Fakten konfrontieren wollte, musste ich feststellen, dass er dem restlichen Clan erzählt hatte, ich sei die Mörderin, die Gesetzesbrecherin. Das Ganze war eine abgekartete Sache. Santiago wollte mich töten, um an die Macht zu gelangen. Ich konnte gerade noch
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