Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
danach? Schließlich hasse ich Raphael nicht abgrundtief und ich will ihn auch nicht einfach abservieren, nur um ihn los zu sein. Er lässt mich in Ruhe. Mehr habe ich nie gewollt.«
Camille faltete die Hände in ihrem Schoß. An ihrem linken Mittelfinger trug sie über ihrem Handschuh einen silbernen Ring mit einem blauen Edelstein. »Du denkst nur, dass du genau das willst, Simon. Du glaubst, Raphael erweist dir einen Gefallen dadurch, dass er dich in Ruhe lässt, wie du es formulierst. Doch in Wahrheit treibt er dich in die Isolation. Im Moment magst du zwar denken, dass du keine anderen Vertreter deiner Art um dich herum brauchst. Du bist zufrieden mit den Freunden, die du derzeit hast — Menschen und Schattenjäger. Und du hast dich damit arrangiert, Flaschen mit Blut in deinem Zimmer zu verstecken und deiner Mutter etwas vorzulügen.«
»Woher wissen Sie das …«
Doch Camille ignorierte seinen Einwurf und fuhr ungerührt fort: »Aber was ist in zehn Jahren, wenn du eigentlich deinen sechsundzwanzigsten Geburtstag feiern solltest? Oder in zwanzig oder dreißig Jahren? Glaubst du ernsthaft, dass niemand merken wird, wie alle um dich herum altern und sich verändern, nur du nicht?«
Simon schwieg. Er wollte Camille gegenüber nicht zugeben, dass er noch nicht so weit in die Zukunft gedacht hatte … dass er so weit gar nicht denken wollte.
»Raphael hat dir das Gefühl gegeben, dass andere Vampire Gift für dich sind. Aber so muss es nicht notwendigerweise bleiben. Die Ewigkeit ist eine sehr lange Zeit, wenn man sie allein verbringen muss, ohne andere seiner Art — andere, die dich verstehen. Du bist mit den Schattenjägern befreundet, aber du kannst niemals einer der ihren werden. Du wirst immer anders sein, immer ein Außenseiter bleiben. Aber bei uns könntest du dazugehören.« Als die Vampirdame sich erneut vorbeugte, funkelte ihr Ring in einem grellen Licht, das Simon in den Augen stach. »Wir verfügen über jahrtausendealtes Wissen, das wir mit dir teilen könnten, Simon. Du könntest lernen, wie du deine wahre Identität vor anderen verborgen hältst oder wie du normal essen und trinken und den Namen Gottes aussprechen kannst. Raphael hat dieses Wissen grausamerweise vor dir geheim gehalten und dich sogar glauben gemacht, dass dies alles nicht existiert, nicht möglich ist. Aber es ist möglich. Und ich kann dir dabei helfen.«
»Wenn ich zuerst Ihnen helfe«, erwiderte Simon.
Camille lächelte, sodass ihre spitzen weißen Zähne zum Vorschein kamen. »Wir werden uns gegenseitig helfen.«
Langsam lehnte Simon sich zurück. Der Eisenstuhl war hart und unbequem und plötzlich fühlte er sich sehr müde. Als er einen Blick auf seine Hände warf, konnte er die Adern in einem dunklen Ton durch die Haut schimmern sehen, wie ein Spinnennetz, das sich über seine Knöchel erstreckte. Er benötigte dringend Blut. Außerdem musste er unbedingt mit Clary reden — und er brauchte Zeit zum Nachdenken.
»Ich habe dich schockiert«, fuhr Camille nun fort. »Ich weiß … es ist ziemlich viel auf einmal. Und ich würde dir liebend gern Zeit zum Nachdenken geben … so viel Zeit, wie du brauchst, um das alles zu verdauen und dir ein Urteil zu bilden. Aber so viel Zeit haben wir nicht, Simon. Solange ich mich in dieser Stadt aufhalte, schwebe ich in ständiger Gefahr, dass Raphael und seine Kohorten mir auflauern.«
»Kohorten?« Trotz der ganzen Umstände musste Simon leicht grinsen.
Camille wirkte verwirrt. »Ja. Und?«
»Na ja, dieses Wort … ›Kohorte‹, das klingt genauso, als würde man ›Missetäter‹ sagen oder ›Lakai‹.«
Die Vampirdame starrte ihn verständnislos an.
Simon seufzte. »‘tschuldigung. Wahrscheinlich haben Sie nicht annähernd so viele schlechte Filme gesehen wie ich.«
Camille runzelte leicht die Stirn und zwischen ihren Augenbrauen zeichnete sich eine sehr feine Linie ab. »Man hat mir zwar gesagt, dass du ein wenig eigenartig wärst … Vielleicht liegt es aber auch daran, dass ich nicht viele Vampire deiner Generation kenne. Allerdings habe ich den Eindruck, es wird mir guttun, Umgang mit jemandem zu pflegen, der so … jung ist.«
»Frisches Blut«, sagte Simon.
Bei dieser Bemerkung musste Camille lächeln. »Dann bist du also bereit? Gewillt, mein Angebot anzunehmen? Und mit mir zusammenzuarbeiten?«
Unentschlossen schaute Simon hinauf zum Nachthimmel. Die weiße Lichterkette schien sämtliche Sterne zu überstrahlen. »Ich … ich weiß Ihr Angebot zu
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