Chroniken der Unterwelt Bd. 4 City of fallen Angels
das hier lange?«, fragte er und warf demonstrativ einen Blick auf sein Mobiltelefon, das ihm verriet, dass es bereits nach halb elf war. »Ich muss mal langsam nach Hause.«
Camille nippte an ihrem Weinglas. »Tatsächlich? Und warum?«
Weil meine Mom auf mich wartet. Okay, okay, das brauchte diese Frau ja nicht unbedingt zu wissen. »Sie haben mich mitten aus einer Verabredung gerissen«, erwiderte er. »Und ich frage mich, was wohl so wichtig gewesen ist, dass Sie mich unbedingt sofort sprechen wollten.«
»Du lebst noch bei deiner Mutter, nicht wahr?«, erkundigte Camille sich statt einer Antwort und stellte das Glas ab. »Ist es nicht ein wenig seltsam, dass ein so mächtiger Vampir wie du sich weigert, das elterliche Nest zu verlassen und sich einem Clan anzuschließen?«
»Dann haben Sie mein Date also unterbrochen, nur um sich darüber lustig zu machen, dass ich noch zu Hause wohne? Hätten Sie das nicht an einem Abend machen können, an dem ich keine Verabredung habe? Was übrigens für die meisten Abende gilt, nur falls Sie sich das gefragt haben sollten.«
»Ich mache mich nicht über dich lustig, Simon.« Camille fuhr sich mit der Zunge über die Unterlippe, als würde sie den Wein kosten, von dem sie gerade getrunken hatte. »Ich möchte lediglich gern wissen, warum du dich nicht Raphaels Clan angeschlossen hast.«
Bei dem es sich doch auch um deinen Clan handelt, oder?, fragte Simon sich, entgegnete dann aber: »Ich habe den starken Verdacht, Raphael wollte nicht, dass ich mich ihm anschließe. Genau genommen teilte er mir mit, er würde mich in Ruhe lassen, wenn ich ihm nicht in die Quere käme. Also bin ich ihm aus dem Weg gegangen.«
»Ach, wirklich.« Camilles grüne Augen leuchteten.
»Eigentlich wollte ich nie ein Vampir sein«, fügte Simon hinzu und wunderte sich über sich selbst, dass er dieser seltsamen Frau derart persönliche Dinge erzählte. »Ich habe mir immer nur ein ganz normales Leben gewünscht. Und als ich herausfand, dass ich ein Tageslichtler bin, hoffte ich, dass das immer noch möglich wäre. Oder zumindest so was Ähnliches wie ein normales Leben. Ich kann zur Schule gehen, ich kann zu Hause wohnen bleiben, mit meiner Mutter und meiner Schwester unter einem Dach leben …«
»Solange du nie in ihrer Gegenwart etwas isst«, ergänzte Camille. »Solange du dein Bedürfnis nach Blut vor ihnen verbirgst. Du hast noch nie frisches Menschenblut getrunken, oder? Immer nur abgefülltes Blut in Beuteln. Abgestandenes Blut. Tierblut.« Sie rümpfte die Nase.
Simon dachte an Jace, drängte den Gedanken aber hastig beiseite. Jace konnte man nicht exakt als Menschen bezeichnen. »Nein, das hab ich noch nicht«, beantwortete er Camilles Frage.
»Aber das wirst du eines Tages. Und wenn du erst einmal frisches Menschenblut gekostet hast, wirst du es nie wieder vergessen.« Sie beugte sich vor und ihre hellen Haare streiften Simons Hand. »Du kannst dein wahres Ich nicht auf immer und ewig verstecken.«
»Welcher Teenager lügt denn nicht gegenüber seinen Eltern?«, konterte Simon. »Aber davon abgesehen wüsste ich nicht, was Sie das angeht. Genau genommen bin ich mir immer noch nicht im Klaren darüber, was ich hier eigentlich soll.«
Camille beugte sich weiter vor, sodass der Kragen ihrer schwarzen Seidenbluse weit aufsprang und ihr Dekolleté präsentierte. Wenn Simon noch ein Mensch gewesen wäre, wäre er in diesem Moment knallrot geworden. »Darf ich einmal einen Blick darauf werfen?«, hauchte sie.
Simon konnte förmlich spüren, wie er sie mit riesigen Stielaugen anstarrte. »Worauf einen Blick werfen?«
Camille lächelte. »Auf das Mal, natürlich, Dummerchen. Das Mal des unsteten Wanderers.«
Verblüfft öffnete Simon den Mund und schloss ihn dann wieder. Woher weiß sie davon? Nur sehr wenige Leute wussten von dem Runenmal, mit dem Clary ihn in Idris versehen hatte. Raphael hatte ihm zu verstehen gegeben, dass in dieser Angelegenheit strengste Verschwiegenheit herrschen müsse, und Simon hatte sich immer daran gehalten.
Aber Camille musterte ihn aus grünen, ruhigen Augen und aus irgendeinem Grund war er bereit, alles zu tun, was sie von ihm verlangte. Irgendetwas in ihrem Blick, irgendetwas im Timbre ihrer Stimme veranlasste ihn dazu. Simon fasste sich an die Stirn, schob seine Haare beiseite und entblößte seine Haut, damit sie das Mal inspizieren konnte.
Im nächsten Moment weiteten sich Camilles Augen und ihre Lippen öffneten sich leicht. Dann griff sie sich
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