Chroniken der Weltensucher 02 - Der Palast des Poseidon
magst dieses Mädchen und sie mag dich, das ist ganz offensichtlich. Natürlich weiß sie ihre Gefühle besser zu verstecken als du. Mädchen sind da tendenziell etwas geschickter. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass ich recht habe. Die Art, wie sie auf meine Annäherungsversuche dir gegenüber reagiert hat, spricht Bände.« Sie zuckte die Schultern. »So gesehen hatte ich also nie eine richtige Chance.« Sie schwieg. Es schien so, als würde sie sowieso keine Antwort erwarten. Ein Glück, Oskar hätte ohnehin nicht gewusst, was er hätte sagen sollen. Er hielt ihre Theorie zwar immer noch für ausgemachten Blödsinn, aber wenn er tief in sich hineinhorchte, war da etwas, das ihm zu denken gab. Ein warmes Gefühl, das immer dann da war, wenn er an Charlotte dachte. So, als würde da ein kleines Feuer brennen.
»Lebe wohl, Oskar. Ich muss mich jetzt von dir verabschieden.« Océanne lächelte, doch es war kein fröhliches Lächeln.
»Du willst weg?«
»Mein Vater und ich haben beschlossen, Livanos’ Angebot anzunehmen und ihn für eine Weile zu begleiten. In einer halben Stunde brechen wir auf.«
Oskar war fassungslos. »Ihr wollt mit ihm …? Das kann ich nicht glauben.«
»Ist aber so. Ich habe mit Vater darüber geredet und er ist meiner Meinung. Livanos hat uns von seinen guten Absichten überzeugt. Wir glauben aber, dass er zumindest für den Anfang noch Hilfe gebrauchen könnte. Wir müssen sichergehen, dass er nicht wieder zum Sklaven seiner eigenen Erfindungen wird. Darüber darf man aber nicht vergessen, dass er Unglaubliches geleistet hat. Was wir bei ihm lernen können, würde uns Jahrzehnte mühsamer Entwicklungsarbeit ersparen. Deswegen werden wir mit ihm gehen. Unsere Abreise steht unmittelbar bevor.« Sie streckte ihre Hand aus. »Komm. Lass uns zu den anderen zurückkehren.«
Oskar zögerte einen Moment, dann ergriff er sie.
Fünf Minuten später trafen sie am Strand ein. Livanos war gerade dabei, jedem ein kleines Geschenk zu überreichen. Dem Forscher drückte er ein dickes, in Leder gebundenes Buch in die Hand. Es war alt und von Schmutz und Wasser arg in Mitleidenschaft gezogen. Trotzdem tat Livanos so, als wäre es ein großes Heiligtum.
»Das ist alles, was Sie benötigen, um Ihren Auftrag zum Abschluss zu bringen«, erklärte Livanos auf Humboldts fragenden Blick hin. »Hier in diesem Buch befinden sich alle Unterlagen, die Sie benötigen, um die Schuldigen, die damals an der Katastrophe beteiligt waren, vor den Kadi zu bringen. Es sind einige der einflussreichsten Männer Athens dabei, unter ihnen der Großvater Ihres Auftraggebers, Archytas Nikomedes. Ihm und einigen seiner Kollegen war meine automatisierte Werft ein Dorn im Auge. Sie wussten, dass diese Erfindung ihnen schweren wirtschaftlichen Schaden zufügen würde und entschlossen sich, sie zu sabotieren. Zu diesem Zweck bestückten sie ein havariertes Schiff, die Odysseus, mit Sprengstoff und ließen sie, unter dem Vorwand eines Maschinenschadens, von der Leviathan reparieren. Als die Arbeiten im vollen Gang waren, zündeten sie die Sprengladung.«
»Das ist ja unglaublich!«, rief Oskar. »War die Besatzung der Odysseus denn nicht in diese Aktion eingeweiht?«
Livanos schüttelte den Kopf. »Ihr Tod wurde vorsätzlich in Kauf genommen. Daran lässt sich ermessen, wie skrupellos diese Männer sind. Ich bitte Sie, diese Unterlagen einem unabhängigen Gericht vorzulegen. Ich bin sicher, dass es zu den richtigen Schlüssen kommen wird.«
Humboldt runzelte die Stirn. »Was ist mit unserem Auftraggeber, dem jungen Nikomedes? War er in die Machenschaften eingeweiht?«
Livanos schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Warum hätte er Sie sonst beauftragen sollen? Nein, nein, dies ist eine Sache zwischen dem Patriarchen und mir. Ich bin überzeugt, dass er es war, der Ihnen den Assassinen auf den Hals gehetzt hat.«
Oskar schüttelte den Kopf. So langsam setzte sich das Puzzle aus Intrigen, Mord und Sabotage zusammen. Es war ungeheuerlich, wozu von Raffgier getriebene Menschen fähig waren. Das Ganze hatte schon etwas von einer klassischen Tragödie an sich.
Humboldt nahm das Buch und steckte es in seine Umhängetasche. »Ich werde dafür sorgen, dass es an die richtige Adresse gelangt, das verspreche ich Ihnen.«
Livanos ergriff die Hand des Forschers und schüttelte sie herzlich. »Das weiß ich.« Er wandte sich um. Neben ihm stand eine eisenbeschlagene Truhe, in der es mächtig glänzte und funkelte. Ein
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