Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
Mathematik beschäftigten. Der Forscher stand auf und führte sie hinunter ins Laboratorium.
Oskar war enttäuscht. Eigentlich hatte er gehofft, dass sie zu dem geheimnisumwitterten Gebäude im Wald gehen würden, doch sein Vater schien ihnen etwas anderes zeigen zu wollen.
Kühle, feuchte Luft umfing ihn. Oskar war schon lange nicht mehr im Laboratorium gewesen. Ganz zu Beginn seiner Bekanntschaft mit Humboldt â als er noch keine Ahnung hatte, wer dieser Mann überhaupt war und was er von ihm wollte â hatte der Forscher ihm hier unten eine Metallplatte gezeigt, auf der ein seltsames Motiv eingeätzt war. Wie sich herausstellte, eine Fotografie, die ihnen den Weg zur Stadt der Regenfresser wies. Später dann hatte er an etlichen chemischen und physikalischen Experimenten teilgenommen. »Die Natur ist ein verdammt guter Spieler«, hatte sein Vater immer gesagt. »Wenn du ihr ein paar Geheimnisse entlocken willst, musst du etwas riskieren .«
Und etwas riskiert, das hatten sie.
Oskar erinnerte sich an Experimente, in denen es darum ging, einen chemischen Zeitzünder zu entwickeln. Durch schieren Zufall war er auf die Kombination von Kaliumpermanganat und Glycerin gestoÃen â zwei an sich harmlose Bestandteile â, die, zusammengemischt, nach etwa einer Minute eine exotherme Reaktion bewirkten. Als Zünder auf eine bestimmte Menge Schwarzpulver gebracht und in einen geschlossenen Behälter verfrachtet, hatte die anschlieÃende Explosion zwei Tische durch die Luft fliegen lassen und einen Teil des Labors verwüstet.
Doch das lag schon einige Zeit zurück. Seit Humboldt seine neuen Forschungen aufgenommen hatte, war ein strenges Besuchsverbot für das Laboratorium verhängt worden. An der Tür hing ein neues Vorhängeschloss und kräftige Stahlbänder verhinderten ein unbefugtes Eintreten. Die Einzige, die den Forscher hin und wieder besuchen durfte, war Wilma.
Humboldt öffnete das Schloss und lieà den Riegel zurückschnappen.
»Rein mit euch«, sagte er.
Er wartete, bis sie drin waren, und schloss dann hinter ihnen wieder zu. Dann ging er durch den Raum und entzündete Kerzen und Ãllampen. Oskar sah sich verwundert um. Bis auf ein paar Tische entlang der Wände hatte der Forscher den kompletten Innenbereich freigeräumt. Zwischen den Säulen und Rundbögen der ehemaligen Krypta war eine Fläche von etwa zehn mal zehn Metern entstanden, in deren Mitte auf einem steinernen Sockel eine kompliziert aussehende Metallapparatur stand.
Im Inneren dreier Metallringe, die mittels einer schwer zu durchschauenden Antriebstechnik in unterschiedliche Richtungen umeinander rotieren konnten, hing ein kugelförmiges Gebilde von der GröÃe eines Kürbisses. Auf der Oberseite der Apparatur befanden sich Regler, Schalter und Knöpfe, die still blinkten. Aus der Unterseite der Maschine quollen fingerdicke Kabel, die quer durch den Raum verliefen und in sechs oder sieben Kästen entlang der Wände mündeten, bei denen es sich um Stromgeneratoren zu handeln schien.
Eines stand fest: Was immer das für ein Ding war, es verbrauchte Unmengen Elektrizität.
»Kommt näher, nur nicht so schüchtern. Das wird euch gefallen.« Humboldt machte sich an dem seltsamen Apparat auf dem Sockel zu schaffen. Er drehte an Ventilen, justierte Schrauben und prüfte, ob die Metallringe gut geschmiert waren. Dann klappte er die Kugel in der Mitte auf.
Im Inneren war ein Hohlraum, in dessen vorderem Teil sich ein Zählwerk befand. Es war von einer Art, wie Oskar es noch nie gesehen hatte. Drei frei rotierende Scheiben, auf denen eine Menge Zahlen eingraviert waren. Daneben waren Schalter und Hebel, die auf irgendeine Weise mit dem Zählwerk verbunden waren. Das Innere der Kugel war mit einem dicht gesponnenen Drahtgeflecht ausgekleidet, das auf den ersten Blick keinen besonderen Zweck zu erfüllen schien. Oskar legte seinen Finger auf einen der Metallringe und versetzte ihm einen kleinen StoÃ. Er bestand aus einem silbrig schimmernden, gleichsam matten Metall, das ausgesprochen spröde wirkte.
Die Nichte des Forschers schlich um das Gebilde wie eine Katze, die Zweifel hatte, ob die Maus auch wirklich tot war. »Das soll ein Zeitschiff sein? Ein bisschen klein, findest du nicht?«
»Das ist nur der Prototyp«, erwiderte Humboldt. »Eine Art Vorläufer. Habt ihr eine Vorstellung, wie er funktionieren
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