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Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Titel: Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Thiemeyer
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zielen und feuern. Nach Zeugenaussagen lagen gute zehn Sekunden zwischen den beiden Schüssen. Zehn Sekunden, in denen alle Welt gewusst haben muss, was vorgeht. Warum hat niemand eingegriffen?« Sie blickte in die Runde. »Sehr mysteriös, wenn ihr mich fragt.«
    Â»Was war mit den Flugblättern?«, fragte Oskar. »Was stand da drauf?«
    Â»Das steht hier«, sagte Charlotte und nahm sich den Teil, den der Forscher bereits gelesen hatte. »Bei den in die Luft geschleuderten Blättern handelte es sich um einzelne Seiten der von Liebknecht und Hasenclever herausgegebenen Zeitung Vorwärts! , dem Zentralorgan der Sozialdemokraten Deutschlands. Die Zeitungsausschnitte waren verschiedenen Datums, hatten aber zur Gemeinsamkeit, dass Passagen unterstrichen waren, bei denen es um den Sturz der Monarchie ging. Auch wenn die anschließende Durchsuchung der Redaktionsbüros keinen Hinweis auf einen direkten Zusammenhang zu dem Attentat erbrachte, wurden die Räume dennoch geschlossen und die Redakteure verhaftet. Reichskanzler und preußischer Ministerpräsident Chlodwig Fürst zu Hohenlohe-Schillingsfürst erklärte, dass das Sozialistengesetz mit sofortiger Wirkung wieder aktiv sei und dass jedwede umstürzlerischen oder antinationalistischen Aktivitäten vom Militär mit aller Gewalt niedergeschlagen würden.«
    Â»Sozialistengesetz?« Oskar runzelte die Stirn.
    Â»Das Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie , so der komplette Wortlaut«, sagte Charlotte. »Dieses Gesetz hat in der Vergangenheit schon viel Ärger verursacht. Es war von 1887 bis 1890 in Kraft und verbot sämtliche sozialistische Organisationen und deren Aktivitäten. Otto von Bismarck betrachtete die Arbeiterparteien und Gewerkschaften als Reichsfeinde und wollte sie um jeden Preis ausschalten. Als 1878 zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm den Ersten, den Großvater von Wilhelm dem Zweiten, verübt wurden, behauptete Bismarck, die Sozialdemokraten seien schuld, und nahm das zum Anlass, um ein Verbot der Parteien durchzudrücken. Die Behauptung war natürlich eine glatte Lüge. Die Attentäter Max Hödel und Eduard Nobiling waren nachgewiesenermaßen keine Sozialdemokraten, sondern durchgedrehte Einzeltäter. Doch die darauf einsetzende Attentatshysterie nutzte Bismarck dazu, den Reichstag aufzulösen und einen Vernichtungsfeldzug , wie er es nannte, gegen die Sozialdemokraten zu inszenieren. Doch er hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das Parteienverbot hatte zur Folge, dass sich im Untergrund Arbeiterorganisationen bildeten, die immer mächtiger wurden. So mächtig, dass die sozialistische Arbeiterpartei SAP wenige Jahre später wählerstärkste Partei des Reiches wurde. Die Verlängerung des Sozialistengesetzes war nicht länger aufrechtzuerhalten. Überraschenderweise war es Kaiser Wilhelm der Zweite, der sich für die Abschaffung starkmachte und Bismarck aus seinem Amt entließ.«
    Oskar war wieder einmal von Charlottes Fachkenntnis beeindruckt. »Wer tritt denn nun die Nachfolge an? Der Kronprinz ist doch noch viel zu jung.«
    Â»Das steht hier unten. Es wurde eine Übergangsregierung gebildet, eine Militärregierung«, sagte Charlotte. »Im Moment ist noch unklar, wie lange sie aktiv sein wird, aber wenn die Unruhen anhalten, könnte es eine Lösung auf Dauer sein. Ein Riesenschlamassel ist das.« Sie strich die Zeitung glatt. »Eines ist jedenfalls klar. Die Sozialisten werden sich das erneute Parteienverbot nicht gefallen lassen. Sie werden auf die Barrikaden gehen und für ihre Rechte streiten. Was sagst du denn zu all dem, Onkel?«
    Humboldt bog eine Ecke der Zeitung um und blickte über den Rand zu ihnen herüber. »Was?«
    Â»Deine Meinung zu den Vorfällen. Meinst du, der Militärrat wird an der Macht bleiben, und wenn nein: Wie wird es danach weitergehen?«
    Â»Keine Ahnung«, sagte der Forscher. »Es ist mir sogar ziemlich egal. Die Politiker machen sowieso, was sie wollen. Sollte es tatsächlich zu einem Bürgerkrieg kommen, wäre es allerdings gut, wenn wir vorbereitet wären. Ihr wisst schon: Einkäufe erledigen, Proviant bunkern und so: Dauerwürste, Sauerkraut, Pökelfleisch, Zwieback, Konserven, Reis, Mehl, Eingewecktes. Alles, was haltbar ist. Könnte sein, dass es in nächster Zeit zu Engpässen in der Versorgung kommt. Aber

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