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Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
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seine Blase entleerte sich. Das Frettchen jaulte auf, die Augenlider klappten hoch, als habe jemand an unsichtbaren Schnüren gezogen. Es witterte Gefahr. Als versuche es sich in seine Schwanzspitze zu beißen, rannte es im Kreis herum und warf sich dann mit Schwung gegen die Scheibe auf der Beifahrerseite, ohne Unterlass, so lange, bis sich ein Riss im Glas bildete, und noch einige Male, um das Fenster endgültig zu durchbrechen. Es klirrte laut, als die Glasstücke auf dem Asphalt zerschellten. Das Frettchen sprang in einem hohen Bogen durch das Fenster und landete inmitten der Scherben. Es quietschte, dann lief es auf das Krankenhaus zu. Mit seiner rechten Hinterpfote zog es eine dünne Blutspur hinter sich her.
     
    Mikes Schläfen hämmerten schmerzhaft und sein Magen rebellierte. Die Sonne stand tief, es dämmerte bereits, aber seinem Zeitempfinden nach durfte es erst Nachmittag sein. Er litt unter einem Filmriss, so als sei er für einige Stunden ohnmächtig gewesen.
    »Hast du Paul Philis gesehen?«, fragte Mike eine ihm unbekannte Krankenschwester, die gerade vorbeieilte. Sie blieb kurz stehen, verneinte, drehte sich mehrmals um die eigene Achse und rannte in die Richtung, aus der sie gekommen war.
    »Verdammt, was ist hier los?« Mike nahm seine Brille ab, wischte sich über die tränenden Augen und rückte anschließend das Brillengestell zurecht, als könne er die Antwort nun irgendwo ablesen.
    Ärzte und Schwestern der Intensivstation wirkten auf ihn, als stünden sie unter dem Einfluss von halluzinogenen Medikamenten. Dr. Dellwig und Dr. Wirbinski rannten ziellos den Flur entlang und stoppten dann abrupt. Während Tom Dellwig wie angewurzelt stehen blieb und sich an einem Ohrläppchen zupfte, drehte Werner Wirbinski auf dem Absatz herum und lief auf Mike zu. Verwirrt schaute er ihn an. Der Arzt schüttelte den Kopf, drückte eine Hand auf seinen Bauch und rannte den Korridor hinab und in die Herrentoilette hinein.
    Die rothaarige Krankenschwester, die Mike schon mehrfach mit nach Hause genommen hatte, lief an ihm vorbei, ohne ihn zu beachten. Sie verschwand im Schwesternzimmer und kam keine zwei Sekunden später wieder heraus.
    Mit einer Hand massierte sich Mike die Nasenwurzel. Was suchte er hier? Er erinnerte sich nur noch daran, dass er Paul auf die Intensivstation gefolgt war. Noch bevor er ihn jedoch finden konnte, hatte jemand irgendetwas von Blutstropfen auf dem Boden, Tollwut und einem Frettchen geschrien.
    Sobald er versuchte, tiefer in seine Gedanken einzudringen, verschwamm die Erinnerung wie eine Fata Morgana.
    Mike drehte sich einmal um die eigene Achse, starrte danach auf die Glastüren, die den Flur abteilten, und entdeckte endlich Paul, der auf ihn zusteuerte.
    »Wo warst du?«, fragte Mike.
    »Ich hab sie runtergebracht. Das war ich ihr schuldig.«
    »Wen?«
    »Frau Duchas natürlich. Sie ist vor über einer Stunde gestorben. Hast du das nicht mitbekommen?«
    Der Boden unter Mikes Füßen schien sich in ein Laufband zu verwandeln, er strauchelte, seine Knie knickten leicht ein und er musste sich an die Wand lehnen und zusätzlich an Paul festhalten.
    »Damit müssen wir leben, das weißt du doch. Was machst du überhaupt hier oben?«
    »Ich – ich habe dich gesucht«, stotterte er.
    »Komm, lass uns auf unsere Station gehen, hier oben scheinen alle leicht gestresst zu sein«, stellte Paul mit einem schnellen Blick an Mike vorbei fest.
    Paul packte Mike am Oberarm und stützte ihn. Während sie mit dem Aufzug drei Etagen tiefer fuhren, sagte er: »Du siehst blass und müde aus. Fahr nach Hause und schlaf dich aus. Du machst zu viele Überstunden.«
    Mike nickte und schwieg.
    »Lass deine Maschine stehen und nimm dir ein Taxi«, mahnte Paul.
    Zurück auf der Gynäkologie, schlich Mike in den Aufenthaltsraum, holte seine Jacke aus dem Spind und verabschiedete sich von Paul, bevor er sich auf den Heimweg begab.
     
    Ohne sich seiner Kleidung zu entledigen, legte sich Mike ins Bett. Er glaubte nicht, jemals so müde gewesen zu sein, selbst nach einer Doppelschicht nicht. Es fehlte ihm sogar die Kraft, sich zuzudecken.
     
    Jemand, dessen Gesicht hinter einem Schatten verborgen blieb, jagte ihn. Lediglich Augen erkannte er; Augen, die wie heiße Kohlen aufglühten, als puste ein Wind darüber.
    Rote Pupillen versengten Mikes Gehirn. Er tauchte in besinnungslose Schwärze ein. Ein Blitz zuckte und er stand in einer ihm fremden Eingangshalle. Irgendwo entfernt gellte ein Schrei. Er bewegte

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