Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ciara

Ciara

Titel: Ciara Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole Rensmann
Vom Netzwerk:
sich gleitend vorwärts, als trüge er Rollen unter den Füßen, und durchquerte das riesige Foyer. Die Wände bewegten sich auf ihn zu, die Decke schien sich zu senken. Er starrte in einen Spiegel, der sein Abbild grotesk verzerrt und verkehrt herum zu ihm zurückwarf. Oder hing er selbst kopfüber von der Decke hinunter? Alles drehte sich, als säße er auf einem Karussell. Er sah eine Treppe. Vielleicht ein Ausweg aus diesem Traum? Er glitt darauf zu, erklomm die Stufen – ein Knarren unter seinen Füßen. Hektisch schaute er sich um. Schweiß perlte von seiner Stirn. Er wischte sich darüber und rannte im nächsten Moment einen endlos langen, dunklen Flur entlang. Er stoppte, nur für Sekunden, dann lief er weiter, als zöge eine unsichtbare Macht an ihm.
    Mike drehte sich um, weil er einen Verfolger hinter sich vermutete. Aber er entdeckte niemanden. Ein Geruch von erkaltetem Kerzenwachs strömte zu ihm. Seine Angst wuchs zu beklemmender Panik, an der er zu ersticken drohte. Er wollte fliehen. Doch seine Beine gehorchten ihm nicht.
     
    Mike glaubte im Schlaf zu spüren, wie er mit den Beinen strampelte und so heftig gestikulierte, dass er sich mit einer Hand selbst ins Gesicht schlug. Er wälzte und drehte sich, um dem Traum endlich zu entfliehen. Dann stürzte er aus dem Bett. Der Aufprall weckte ihn. Sein Herz raste. Angstschweiß auf seiner Haut begann zu trocknen. Er fror. Strähnen des zu einem Zopf zusammengebundenen, langen schwarzen Haares klebten an seinem Hals. Die Brille, die er vor Müdigkeit nicht abgenommen hatte, lag auf dem Boden.
    Verschlafen rappelte sich Mike auf. Sein rechter Ellbogen, den er sich am Bettpfosten gestoßen haben musste, kribbelte. Damit das Gefühl des leichten Stromschlags rasch verschwand, rubbelte er mit schnellen Bewegungen darüber. Weißes Mondlicht fiel durchs Fenster. Orientierungslos schaute sich Mike um und verspürte Erleichterung darüber, dass er sich in seiner Wohnung aufhielt; nicht in dem Palast, in den ihn seine Träume entführt hatten. Die Müdigkeit trieb ihn zurück ins Bett. Als sein Kopf das Kissen berührte und seine rechte Hand die Decke über die Beine zog, schlief er schon fast.
     
    Paul wickelte den Verband von seinem Daumen ab. Die Wunde war fast verheilt. Anschließend befreite er sich von dem längst nicht mehr sterilen Kittel, beförderte diesen in den Müll und eilte in sein Büro. Dort füllte er einen Urlaubsantrag aus. Obwohl er vermutlich nie wieder ins Krankenhaus zurückkehren würde, musste er einfach einen Teil seines über einen so langen Zeitraum aufgebauten regulären Lebens aufrechterhalten.
    Seinen längst überfälligen Urlaub zu nehmen, sollte auch nach außen hin den Anschein erwecken, er käme eines Tages zurück. Und so hoffte er, dass die Kollegen unkompliziert seine Schichten übernehmen würden und sein Chef zustimmte. Alles Weitere sollte sich später entscheiden.
     
    »Du willst vier Wochen Urlaub – ab sofort? Das kann nicht dein Ernst sein.«
    »Doch, Stephan. Ich muss etwas Privates klären.«
    Sein Chef musterte ihn vom Haaransatz bis zu den Oberschenkeln – mehr konnte er von seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch aus nicht sehen. Schließlich sagte er: »Ich wusste nicht, dass du überhaupt ein Privatleben hast.«
    »Sehr witzig. Was ist nun? Mir steht der Urlaub zu.«
    »Sicher, aber sofort?! Was gibt es denn für Probleme? Brauchst du Hilfe?«
    »Nein, das muss ich allein klären.«
    »Aber du weißt, dass …«
    »Du kannst mir helfen, Stephan, indem du mir jetzt den Urlaub bewilligst. Ich müsste sonst kündigen und mich umgehend krankschreiben lassen.«
    Ein tiefer Seufzer leitete die Entscheidung ein: »Gut, aber keinen Tag länger – und bleib erreichbar, falls du einspringen musst.«
    Paul nickte. »Frau Duchas ist übrigens verstorben.«
    Sein Chef schaute ihn entsetzt an. »Verdammt! Wann? Was für ein Schwein, das sie so zugerichtet hat. Du hättest sie nicht gehen lassen sollen. Hast du es der Polizei schon gemeldet?«
    »Nein, aber das mache ich noch.«
    »Soll ich das für dich übernehmen?«
    »Nein, nein. Das ist mein Job, ich mach das schon.«
    »Gut. Es wird sicher eine Obduktion geben. Soll ich dich anrufen, wenn der Termin dafür steht?«
    »Ja, bitte. Ich möchte gern dabei sein.«
    »Okay. Also dann, hau ab, bevor ich es mir noch anders überlege.«
    Ohne Zögern folgte Paul dieser Aufforderung. Auch wenn es ihm schwer fiel, zumindest äußerlich Ruhe zu bewahren, ging er betont gelassen

Weitere Kostenlose Bücher