Circus
entweder ein genialer Zauberer oder ein ausgesprochen verschlagener Charakter.
Und dann kündigte Bruno den Clou seines Repertoires an – den Beweis seines fotografischen Gedächtnisses. Masters ließ keinem eine Chance, ihm zuvorzukommen, denn er war bereits auf der Bühne, ehe Bruno seine Ankündigung beendet hatte. Bruno nahm mit einem leicht amüsierten Heben der Augenbrauen Masters die aufgeschlagene Zeitung aus der Hand, betrachtete sie kurz, gab sie zurück und sah Masters fragend an.
Masters sagte: »Linke Seite, zweite Spalte, warten Sie – ja: siebente Zeile, das Wort in der Mitte.« Er schaute Bruno mit einer Mischung aus gespannter Erwartung und vorweggenommener Schadenfreude an.
»Kanada«, sagte Bruno.
Masters' Gesichtsausdruck wechselte zu völliger Fassungslosigkeit. Er zuckte die Achseln und verließ mit hängenden Schultern die Bühne.
Draußen sagte Fawcett: »Sind Sie jetzt überzeugt, oder glauben Sie vielleicht, daß Bruno mit Masters unter einer Decke steckt?«
»Natürlich nicht. Ich bin überzeugt. Wann fängt die Vorstellung an?«
»In einer halben Stunde.«
»Schauen wir uns seinen Hochseilakt an oder was er sonst da oben in der Luft macht. Wenn er das nur halb so gut macht, ist er unser Mann.«
Die Ausstellungshalle, die den Drei-Manegen-Circus beherbergte, war ausverkauft. Die Musik, die jetzt von einem ausgesprochen guten Orchester gespielt wurde, war durchaus erträglich, und die Luft knisterte vor Spannung und Vorfreude, die die Tausende von Kindern in der riesigen Halle fast ebenso intensiv empfanden wie ihre Großeltern. Überall glitzerte es, aber es war kein billiger Tand, sondern das Flair, das unbedingt zu einem Circus gehörte. Abgesehen von dem dunklen Sägemehl in den Manegen wurde das Auge von sämtlichen Farben des Spektrums geblendet. Um die Manegen trabten verschwenderisch geschmückte Elefanten mit schönen und schön gekleideten Mädchen herum. In den Manegen selbst wetteiferten Clowns und Pierrots miteinander und versuchten, den Bodenakrobaten und Stelzengehern die Aufmerksamkeit des Publikums zu entziehen. Das Publikum seinerseits betrachtete alle Darbietungen fasziniert, allerdings mit einer leichten Ungeduld, denn das, was ihm jetzt geboten wurde, war gewissermaßen nur das Vorspiel zu dem eigentlichen, sensationellen Programm. Es gibt auf der ganzen Welt keine Atmosphäre, die der in einem Circus kurz vor Beginn der Vorstellung gleicht.
Fawcett und Pilgrim hatten hervorragende Plätze mit einem ausgezeichneten Blick auf die mittlere Manege. »Welcher ist Wrinfield?« fragte Fawcett. Unauffällig deutete Pilgrim auf einen Mann, der nur zwei Plätze weiter in der gleichen Reihe saß. Er trug einen dunkelblauen Anzug mit passender Krawatte und untadelig weißem Hemd und hatte sorgfältig gescheitelte, graue Haare. Sein schmales, nachdenkliches Gesicht sah aus wie das eines Gelehrten, und dieser Eindruck wurde durch die Brille, die er trug, noch verstärkt.
»Das ist Wrinfield?« Pilgrim nickte. »Der sieht aber eher wie ein Universitätsprofessor aus.«
»Ich glaube, das war er sogar früher mal. Ökonomie. Aber die Leitung eines Circus ist heute keine so verträumte Angelegenheit mehr wie früher. Es ist ein hartes Geschäft, und wenn man einen solchen Laden erfolgreich leiten will, braucht man eine gehörige Portion Intelligenz. Und Tesco Wrinfield ist ein hochintelligenter Mann.«
»Vielleicht zu intelligent. Mit einem solchen Namen bei einem Vorhaben, wie wir es planen, mitzuarbeiten …«
»Seine Familie ist seit fünf Generationen in Amerika.«
Der letzte der Elefanten verschwand durch den Ausgang. Begleitet von Trompetengeschmetter und dem jetzt mit allen Verstärkern arbeitenden Orchester galoppierten zwei herrlich geschmückte Hengste in die Manege, die einen goldenen Wagen zogen. Hinter ihnen stürmte ein Dutzend Reiter herein. Von Zeit zu Zeit hatten diese Reiter lockeren Kontakt mit ihren Pferden, die meiste Zeit jedoch befanden sie sich bei halsbrecherischen Kunststücken in der Luft. Die Menge schrie und pfiff und klatschte wie besessen. Die Vorstellung hatte begonnen. Und sie bewies, daß der Circus mit Recht von sich behauptete, der beste der Welt zu sein. Sowohl der äußere Rahmen als auch die Darbietungen übertrafen die kühnsten Erwartungen. Da war Heinrich Neubauer, der mit geradezu atemberaubender Sicherheit sein Dutzend nubischer Löwen dirigierte, und Malthius, der mit der gleichen Anzahl bengalischer Tiger umging, als
Weitere Kostenlose Bücher