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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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Frühling vor Lebensfreude nur so sprühe. Die Lobpreisungen des Frühlings gerieten ihr geradezu poetisch. Sie drückte sich so wortgewandt aus, dass ihre Schwester und Nichte sich darüber etwas lustig machten und fragten, ob sie nicht auch hinausgehen wolle, wenn sie so inspiriert sei. Amélia redete sich mit dem Abendessen heraus und schob sie zur Tür. Aus Furcht, eine von beiden könnte zurückkommen, sah sie ihnen vom Fenster aus hinterher. Cândida war sehr vergesslich, fast immer ließ sie etwas liegen.
    Jetzt war sie allein in der Wohnung – ihre Schwester und Nichte würden gut zwei Stunden wegbleiben, und Adriana würde erst später nach Hause kommen. Sie holte die Schlüssel aus dem Versteck und ging in das Zimmer der Nichten. Die Kommode hatte drei kleine Schubladen – die mittlere war Adrianas.
    Als sie vor die Kommode trat, schämte sie sich plötzlich. Sie hatte etwas Ungehöriges vor, das war ihr bewusst. Selbst wenn sie damit in Erfahrung bringen konnte, was die Nichten so sorgfältig verheimlichten, wie würde sie, falls sie gezwungen wäre zu sprechen, zugeben können, dass sie sich heimlich an der Schublade zu schaffen gemacht hatte? Wenn das herauskäme, würden die anderen noch mehr Übergriffe befürchten, und sie, Amélia, sah ein, dass man sie dafür hassen würde. Es zu erfahren, durch Zufall oder auf eine andere, würdigere Art, hätte ihre moralische Autorität selbstverständlich nicht untergraben, doch hinterrücks einen nachgemachten Schlüssel zu benutzen und diejenigen wegzuschicken, die sie an ihrem Tun hätten hindern können, das war der Gipfel an Unredlichkeit.
    Mit den Schlüsseln in der Hand schwankte Amélia zwischen ihrer Wissbegier und dem Bewusstsein, dass ihr Tun verwerflich war. Und wer garantierte ihr, dass sie nicht womöglich etwas entdeckte, das besser unentdeckt geblieben wäre? Isaura war guter Dinge, Adriana fröhlich wie immer, Cândida hatte, wie stets, uneingeschränktes Vertrauen in ihre Töchter. Ihr Leben zu viert schien wieder in die alten Gleise zurückzufinden, ruhig, friedlich, gelassen. Würde das Eindringen in Adrianas Geheimnisse ein friedliches Zusammenleben nicht unmöglich machen? Würde nicht eine unabänderliche Situation entstehen, wenn ihre Geheimnisse erst einmal aufgedeckt waren? Würden sich nicht alle gegen sie wenden? Auch wenn die Nichte große Schuld auf sich geladen hätte, wäre ihre, Amélias, gute Absicht eine ausreichende Rechtfertigung für die Missachtung des Rechts, das jedem zusteht, seine Geheimnisse für sich zu behalten?
    All diese Skrupel hatten Amélia schon zuvor bedrängt, aber sie hatte sie abgewehrt. Doch nun, da eine kleine Bewegung ausreichte, um die Schublade zu öffnen, kamen sie umso stärker zurück, bäumten sich mit der verzweifelten Kraft der Todgeweihten auf. Amélia betrachtete die Schlüssel in ihrer Hand. Während sie noch nachdachte, bemerkte sie unbewusst, dass der kleinste Schlüssel nicht passen konnte. Die Öffnung im Schubladenschloss war viel zu groß.
    Amélia griff nach einem der größeren Schlüssel und steckte ihn ins Schloss. Das Metallgeräusch des Schlüssels im Schloss vertrieb die Skrupel. Der Schlüssel passte nicht. Ohne daran zu denken, dass sie noch einen anderen ausprobieren konnte, versteifte sie sich auf diesen. Als sie feststellte, dass der Schlüssel sich verklemmt hatte, erschrak sie. Die ersten Schweißperlen traten ihr auf die Stirn. Sie zog am Schlüssel, rüttelte, Panik hatte sie gepackt. Mit einem kräftigen Ruck gelang es ihr, ihn herauszuziehen. Fraglos war der andere Schlüssel der richtige. Aber nach dieser Anstrengung war Amélia so erschöpft, dass sie sich auf das Bett der Nichten setzen musste. Ihr zitterten die Beine. Nach ein paar Minuten stand sie, nun ruhiger, wieder auf. Sie steckte den anderen Schlüssel ins Schloss. Drehte ihn langsam. Ihr Herz klopfte, es pochte so heftig, dass sie wie benommen war. Der Schlüssel passte. Jetzt gab es kein Zurück mehr.
    Das Erste, was sie beim Öffnen der Schublade wahrnahm, war ein intensiver Duft von Lavendelseife. Bevor sie die Gegenstände herausnahm, prägte sie sich ein, wo sie sich befanden. Vorne lagen zwei Taschentücher mit gesticktem Monogramm, das sie sofort erkannte – sie hatten ihrem Schwager gehört, Adrianas Vater. Links lag ein Stapel alter Fotos, mit einem Gummiband zusammengehalten. Auf der rechten Seite ein schwarzes Kästchen ohne Verschluss mit silberner Verzierung. Darin ein paar Perlen von

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