Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
schwieriges, unerfreuliches Leben, voller Groll und Feindseligkeiten, brutaler Szenen und mühsamer Versöhnungen. Paulino war gegangen, und ganz fraglos endgültig. Auch sie wollte gehen, aber in drei Monaten zurückkommen. Und was, wenn sie nicht zurückkäme? Wenn sie in ihrer Heimat bliebe, mit ihrem Sohn bei ihrer Familie bliebe?
Als sie diese Möglichkeit in Erwägung zog, wurde ihr schwindlig. Es war ganz einfach. Sie würde schweigen, mit ihrem Sohn abreisen, und wenn sie in Spanien angekommen war, würde sie ihrem Mann schreiben und ihm ihre Entscheidung mitteilen. Und dann? Dann würde sie ein neues Leben anfangen, als wäre sie gerade erst auf die Welt gekommen. Portugal, Emílio, die Heirat wären dann nichts als ein Albtraum, der sich Jahre um Jahre hingezogen hatte. Und vielleicht könnte … Dafür müsste sie sich natürlich scheiden lassen … Vielleicht … An dieser Stelle fiel ihr ein, dass sie nicht ohne die Einwilligung ihres Mannes würde bleiben können. Sie reiste mit seiner Genehmigung ab, und nur mit seiner Genehmigung würde sie bleiben können.
Diese Überlegungen trübten ihre Freude. So oder so würde sie abreisen, aber angesichts der Versuchung, nicht mehr zurückzukommen, empfand sie ihre Freude als fast schmerzhaft. Nach drei Monaten Freiheit zurückkehren, wäre das nicht die schlimmste Strafe überhaupt? Sich für den Rest ihres Lebens dazu verurteilen, Anwesenheit und Worte, Stimme und Schatten ihres Mannes zu ertragen, wäre das nicht die Hölle, nachdem sie das Paradies zurückerobert hatte? Sie würde unablässig um die Liebe ihres Sohnes kämpfen müssen. Und wenn ihr Sohn (Carmens Phantasie übersprang etliche Jahre) einmal heiraten würde, dann würde es für sie noch schlimmer, denn von da an würde sie mit ihrem Mann allein leben müssen. All das könnte verhindert werden, wenn er in eine Scheidung einwilligte. Was aber, wenn er sie zwang, zurückzukommen?
Diese Gedanken quälten sie den ganzen Tag. Selbst die glücklichen Stunden ihres Ehelebens, denn die hatte es auch gegeben, waren ihr entfallen. Sie sah nur Emílios kühlen, ironischen Blick, sein vorwurfsvolles Schweigen, seine Miene eines Gescheiterten, dem es nichts ausmacht, sich als ein solcher zu zeigen, und der sein Scheitern für alle sichtbar wie ein Plakat vor sich herträgt.
Der Abend kam, aber sie war den Antworten auf die Fragen, die ihr ständig in den Sinn kamen, keinen Schritt näher gekommen. Sie war so schweigsam, dass ihr Mann sich erkundigte, was sie bedrückte. »Nichts«, antwortete sie. Sie sei nur etwas aufgeregt wegen der bevorstehenden Reise. Emílio konnte das verstehen und hakte nicht nach. Auch er war aufgeregt. In wenigen Stunden würde er frei sein. Drei Monate allein, drei Monate Freiheit, drei Monate pralles Leben …
Am nächsten Tag ging es los. Alle Nachbarn wussten es, und fast alle kamen ans Fenster. Carmen verabschiedete sich von den Nachbarn, mit denen sie auf gutem Fuß stand, und stieg mit Mann und Sohn ins Auto. Kurz vor Abfahrt des Zuges kamen sie am Bahnhof an. Sie konnten gerade noch das Gepäck verstauen, ihre Plätze einnehmen und sich verabschieden. Henrique blieb kaum Zeit zum Weinen. Der Zug verschwand im Tunnel, hinter ihm eine weiße Rauchwolke, die wie ein zum Abschied winkendes Taschentuch irgendwann in der Ferne verschwand …
Es war sein erster Tag in Freiheit. Emílio lief stundenlang durch die Stadt. Streifte durch Gegenden, wo er noch nie gewesen war, aß in einer Taverne in Alcântara zu Mittag und sah dabei so glücklich aus, dass der Wirt ihm das Doppelte für das Essen abknöpfte. Er protestierte nicht, gab sogar ein Trinkgeld. Er fuhr im Taxi zurück ins Zentrum, kaufte sich ausländische Zigaretten. Und als er an einem teuren Restaurant vorüberging, dachte er, es sei dumm gewesen, in einer Taverne zu Mittag zu essen. Er ging ins Kino; in den Pausen trank er Kaffee, unterhielt sich mit einem Fremden, der ihm mit Blick auf den Kaffee sagte, er habe schreckliche Magenprobleme.
Als der Film zu Ende war, ging er einer Frau hinterher. Draußen verlor er sie aus den Augen, aber das machte ihm nichts aus. Er blieb auf dem Trottoir stehen und blickte lächelnd zum Denkmal des Restaurationskrieges. Er dachte, mit einem Satz könnte er auf den Obelisken springen, aber er sprang nicht. Über zehn Minuten lang sah er dem Verkehrspolizisten zu und hörte ihn pfeifen. Das alles gefiel ihm, und er betrachtete Menschen und Gegenstände, als sähe er sie zum
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