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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: José Saramago
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der beiden Alten, ihr eigenes Genörgel bei der Gehaltsfrage … Sie wurde rot, als sie die Worte der Nichte über sich selbst las: »Tante Amélia ist heute besonders kratzbürstig …« Aber gleich darauf war sie gerührt: »Ich habe Tante Amélia lieb. Ich habe Mama lieb. Auch Isaura.« Und dann wieder Beethoven, seine Maske, Adrianas Gott … Und immer unverändert und nutzlos: »er« … Noch weiter zurück: Tage, Wochen, Monate. Hier gab es keine Klagen. Jetzt ging es um die keimende Verliebtheit und um Selbstzweifel, für Zweifel an »ihm« war es noch zu früh. Vor der Seite, auf der »er« zum ersten Mal auftauchte, nur Banalitäten.
    Amélia hielt das aufgeschlagene Heft auf den Knien und war enttäuscht, aber gleichzeitig froh. Es gab also nichts Schlimmes. Eine heimliche Liebe, mit sich selbst beschäftigt, gescheitert wie die Liebe, an die das mit grünem Band verschnürte Bündel Briefe erinnerte. Wo also steckte das Geheimnis? Was war der Grund für Isauras Tränen und Adrianas Heuchelei?
    Sie blätterte im Tagebuch, bis sie wieder auf die Seite vom 23 . März stieß: Isaura hatte rote Augen … offenbar hatte sie geweint … nervös … Isauras Buch … Schmerz – schönes Gefühl … schönes Gefühl – Schmerz …
    War das die Erklärung? Sie legte das Tagebuch in den Kasten. Schloss ihn. Schloss die Schublade. Daraus würde sie nicht mehr erfahren. Adriana hatte also keine Geheimnisse. Aber es gab ein Geheimnis. Nur wo?
    Sämtliche Wege waren versperrt. Das Buch … Wie hieß das letzte Buch, das Isaura gelesen hatte? Amélias Gedächtnis verweigerte sich, es versperrte ebenfalls sämtliche Türen. Dann öffnete es sie wieder, und plötzlich tauchten Namen von Autoren und Romantitel auf. Keiner kam in Frage. Das Gedächtnis hielt eine Tür verschlossen, eine Tür, zu der kein Schlüssel vorhanden war. Amélia konnte sich an alles erinnern. Das schmale Buch, in Papier eingeschlagen, auf dem Radiotisch. Isaura hatte gesagt, wie es hieß und von wem es war. Dann (das wusste sie noch genau) hatten sie den
Totentanz
von Honegger gehört. Sie erinnerte sich an die dröhnende Musik aus der Nachbarwohnung und die Diskussion mit der Schwester.
    Aber … vielleicht hatte Adriana es ins Tagebuch geschrieben. Sie schloss die Schublade wieder auf, suchte und fand den Tag. Da stand Honegger und »er«. Sonst nichts.
    Nachdem sie die Schublade erneut geschlossen hatte, blickte sie auf die Schlüssel in ihrer Hand. Sie schämte sich. Sie selbst hatte einen schlimmen Fehltritt begangen. Sie wusste von etwas, was niemand wissen sollte: von Adrianas enttäuschter Liebe.
    Sie verließ den Raum, ging durch die Küche, öffnete das Erkerfenster. Die Sonne stand noch immer leuchtend hoch am Himmel. Der Himmel leuchtete, der Fluss leuchtete. Weit drüben am anderen Ufer die Hügel, bläulich getönt in der Ferne. Traurigkeit drückte ihr die Kehle zu. So war das Leben, ihr Leben, trist und glanzlos. Auch sie hatte jetzt ein Geheimnis zu hüten. Sie presste die Schlüssel in der Hand. Gegenüber standen niedrigere Häuser. Auf einem Dach räkelten sich zwei Katzen in der Sonne. Kurz entschlossen warf sie einen Schlüssel nach dem anderen hinüber.
    Die Katzen flohen vor dem überraschenden Beschuss. Die Schlüssel purzelten das Dach hinunter und fielen in die Regenrinne. Es war vorbei. Und erst in diesem Augenblick dachte Amélia, ihr bliebe noch eine Möglichkeit: in Isauras Schublade nachsehen. Aber nein – das wäre nutzlos. Isaura hatte kein Tagebuch, und selbst wenn sie eins hätte … Auf einmal war sie todmüde. Sie ging in die Küche zurück, setzte sich auf einen Hocker und weinte. Sie war erledigt. Sie hatte gespielt und verloren. Und zum Glück hatte sie verloren. Sie hatte nichts erfahren, wollte nichts erfahren. Selbst wenn ihr der Titel des Romans einfallen sollte, wollte sie ihn nicht aus der Bibliothek holen, um ihn zu lesen. Sie wollte alles tun, um sich nicht zu erinnern, und sollte sich die verschlossene Tür in ihrem Gedächtnis öffnen, wollte sie sie mit allen Schlüsseln, die sie finden konnte, wieder verschließen. Nachgemachte Schlüssel … Verletztes Geheimnis … Nein! Sie schämte sich viel zu sehr, um es noch einmal zu tun.
    Sie trocknete sich die Augen und stand auf. Sie musste sich um das Abendessen kümmern. Isaura und ihre Mutter würden bald zurückkommen. Sie ging ins Esszimmer, um von dort etwas zu holen, was sie brauchte. Auf dem Radio lag das Wochenprogramm

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