Clarissa - Wo der Himmel brennt
und hatte bereits die Hunde angetrieben, als Sherburne ihr nachrief: »Aber das ist unmöglich! Sie haben doch die Meldung gelesen. Kommen Sie zurück, Clarissa! Selbst wenn er es wäre … Sie dürfen jetzt nicht weiterfahren. Das ist viel zu gefährlich! Bleiben Sie hier!«
Clarissa hörte nicht auf ihn. Den Blick auf die schroffen Berge gerichtet, fuhr sie an ihm und den anderen Mounties vorbei und lenkte die Hunde auf den vereisten Fluss. »Vorwärts, Moses! Weiter! Zeig endlich, was du kannst!«
»Clarissa!«, rief Sherburne ein letztes Mal.
39
Clarissa fuhr der schwarzen Wolkenwand entgegen, die sich drohend über den Bergen zusammenbraute. Sie folgte dem schmalen Trail, einem alten Indianerpfad, der auf der anderen Seite des Flusses nach Norden führte und nach ungefähr einer Meile nach Nordosten abbog und zu den Bergen anstieg.
Die Hunde waren wenig begeistert von ihrer Absicht, in die Berge zu fahren. Sie spürten wohl auch den nahenden Blizzard, blieben einmal sogar stehen und liefen erst weiter, als Clarissa einen wüsten Fluch ausstieß. Sie war ungeduldig und wollte den winzigen Funken Hoffnung, der während der vergangenen Stunden aufgeflackert war, nicht erlöschen lassen und den Fallensteller unter allen Umständen aufspüren, selbst wenn sie sich geirrt haben sollte. Sie brauchte Gewissheit und musste den Mann unbedingt sehen. Weder ein Blizzard noch ihre unwilligen Huskys würden sie aufhalten.
»Weiter! Weiter!«, feuerte sie die Hunde an.
Sie war längst vom Trittbrett gestiegen und schob den Schlitten an, half den Hunden bei dem steilen Anstieg, der selbst für ein erfahrenes Gespann schwierig gewesen wäre. Wie riesige Monumente ragten die Felsen vor ihr in den Himmel, düster und grau in dem schwindenden Licht, und die steilen Gletscher und Felswände der Berge, die sich vor ihr aus dem Schnee erhoben, waren nur noch als riesige dunkle Schatten zu erkennen. Die Natur zeigte ihr bedrohliches Gesicht, eine eindeutige Warnung, sofort umzukehren und einen sicheren Unterschlupf aufzusuchen, doch sie war plötzlich wie besessen von ihrer Idee, Alex wiederzutreffen. Sie hatte so große Angst, ihn wieder aus den Augen zu verlieren, dass sie die Hunde stets von Neuem antrieb. Weiter, nur weiter, irgendwo muss der verdammte Kerl doch sein. Sie schimpfte wie ein Maultiertreiber, schrie die Angst zu versagen mit wilden Flüchen hinaus.
Mit vereinten Kräften schafften sie die Steigung und erreichten einen Hügelkamm. Dahinter wand sich der Trail in ein anderes Tal hinab, das keilförmig in die Berge hineinragte und in einer dunklen Schlucht endete. Nur an den Weiden, die ihn säumten, war ein zugefrorener Bach zu erkennen, der von den Gletschern herabfloss und zum größten Teil von einer dicken Schneeschicht bedeckt wurde. Am östlichen Ende des Tales hob sich dichter Wald gegen den hellen Schnee ab und verschmolz in der Ferne mit den schwarzen Schatten, die von den steilen Berghängen in das Tal hinabreichten.
Die Blockhütte entdeckte sie erst, als sie ihren Blick noch einmal über den Waldrand gleiten ließ und dem Flug eines Raben folgte, der sich auf dem Giebeldach der Hütte niederließ und gleich darauf mit flatterndem Flügelschlag zwischen den Felsen verschwand. Eine der Hütten, die Fallensteller für sich und ihre Kollegen errichteten, um während einer langen Fahrt oder eines Sturms ein Dach über dem Kopf zu haben? Die Bleibe eines Goldsuchers, der sich während des Winters als Jäger betätigte? Oder … »Alex!«, flüsterte sie.
Von neuem Mut beseelt, trieb sie die Hunde an. »Genug ausgeruht! Es geht weiter!«, rief sie. »Wollt ihr wohl laufen, ihr faulen Biester? Jetzt geht es nur noch bergab, also keine Müdigkeit vortäuschen. Na, los! Nur noch bis zu der Hütte da unten, dann haben wir es geschafft! Vorwärts … Giddy-up … Go!«
Die Hunde spürten, dass sie es ernst meinte, und verschärften das Tempo. Die Hoffnung, sich während des Sturms im tiefen Schnee vor der Blockhütte eingraben zu können, war so verlockend, dass sie alles aus sich herausholten. Mit kräftigen Schritten zogen sie den Schlitten über den gewundenen Trail ins Tal hinunter. Der eisige Wind, der immer schärfer und schneidender wurde, verriet ihnen, dass der Blizzard unmittelbar bevorstand, und sie wollten ihr Ziel vorher unbedingt erreichen. Clarissa blieb auf dem Trittbrett und hatte alle Mühe, bei der schlingernden Fahrt die Balance zu halten. Aber sie bremste nicht, im Gegenteil, sie feuerte
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