Claudius Bombarnac
der Menge, und zwischen durch eine Stimme …
Gerechter Gott … ich täusche mich nicht … das ist die Stimme Kinkos! … Ich habe sie gleich wiedererkannt! … Bin ich denn recht bei Sinnen? …
Zinca Klork, die jetzt aufgesprungen ist, stürzt nach dem Fenster … sie reißt es auf … wir sehen Beide hinaus …
Vor der Hausthür hält ein Rollwagen. Der Kasten mit seinen vielen Aufschriften: »Oben, Unten, Zerbrechlich, Spiegelglas, Vor Nässe zu schützen« ist da unten … halb zerbrochen. Der Rollwagen hatte, eben als der Kasten abgeladen werden sollte, von einem Karren einen tüchtigen Stoß bekommen … der Kasten gleitet herunter … er geht aus den Fugen … und hervor springt Kinko, wie ein Teufel aus dem Zauberapparat … aber lebend … frisch und munter! …
Ich kann meinen Augen nicht trauen! … Wie? Mein junger Rumäne ist bei der Explosion nicht umgekommen?.. Nein, wie ich das sehr bald aus seinem Munde höre, ist er grade im Augenblicke, wo der Kessel platzte, auf das Geleis herunter geschleudert worden und zuerst regungslos liegen geblieben; später, und als er sich unverletzt sah – ein wahres Wunder! – hat er sich abseits gehalten, bis er wieder unbemerkt in den Packwagen schlüpfen konnte. Ich selbst hatte diesen bereits verlassen, und da ich ihn darin vergeblich gesucht hatte, mußte ich annehmen, daß er das erste Opfer der Katastrophe geworden sei.
Nein, diese Ironie des Schicksals! – Eine Fahrt von sechstausend Kilometern auf der Groß-Transasiatischen Bahn in einem Kasten unter Gepäckstücken zurückgelegt zu haben, so vielen Gefahren, einem Ueberfalle durch Räuber und einer Explosion der Maschine entgangen zu sein, und dann hier durch den dümmsten Unfall, durch den Anprall eines Karrens in einer Straße von Peking, den armen Kinko um die ganze Frucht seines Wagnisses, seiner … nun ja … betrügerischen Reise zu bringen … nein, ich finde nicht das richtige Wort, um diese Niedertracht des Schicksals zu brandmarken!
Der Rollwagenführer hat einen Schrei ausgestoßen, als er das lebende Geschöpf hervorspringen sah. Sofort strömt die Menge zusammen, der Betrug ist entdeckt, Polizisten erscheinen auf dem Platze … und was soll nun der junge Rumäne beginnen, der kein Wort chinesisch kann und sich nur durch eine unzulängliche Zeichensprache auszudrücken vermag? Natürlich wird er auch nicht verstanden, und welche Erklärung hätte er für diesen Vorgang wohl geben können? … …
Zinca Klork und ich, wir eilen an seine Seite.
»Meine Zinca … meine geliebteste Zinca! ruft er und drückt das junge Mädchen aus Herz.
– Mein Kinko … mein einzig geliebter Kinko! schluchzt sie, während ihre Thränen sich mit den seinigen mischen.
– Herr Bombarnae!, sagt der arme Bursche, der seine ganze Hoffnung einzig auf mich setzt.
– Kinko, antworte ich, verzweifeln Sie nicht und rechnen Sie auf mich! … Sie leben ja, Sie, den wir für todt hielten ….
– Ja, doch jetzt ist es auch nicht viel besser!« murmelt er ….
Unsinn! Alles ist besser, als todt zu sein – selbst wenn man die Aussicht hat, ins Gefängniß, und wäre es auch nur ein chinesisches, wandern zu müssen. So geschieht es denn auch, trotz der Bitten des jungen Mädchens, denen die meinen sich anschließen, ohne daß es mir gelingt, mich verständlich zu machen, während Kinko unter dem Gelächter und dem Geheul der Menge von der Polizei abgeführt wird.
Ich werd’ ihn aber nicht im Stiche lassen … nein, und müßt’ ich Himmel und Erde in Bewegung setzen, ich verlasse ihn nicht!
Siebenundzwanzigstes Capitel.
Wenn jemals der Ausdruck »im Hafen Schiffbruch leiden« an seinem Platze war, so dürfte das in diesem Falle zutreffen, und der Leser wird es verzeihen, daß ich mich desselben bediene. Doch wenn ein Schiff angesichts des Hafendammes scheitert, braucht man es nicht immer für verloren zu halten. Die Freiheit Kinko’s mag ja vorläufig bedroht erscheinen, wenn sich mein und Zincas Eintreten für ihn als nutzlos erweist; er lebt doch wenigstens, und das ist die Hauptsache.
Jetzt gilt’s aber zu eilen, denn wenn die chinesische Polizei auch sonst recht viel zu wünschen übrig läßt, schnell im Urtheil und in der Bestrafung ist sie gewiß. Gefangen – gehangen, und Kinko darf auf keinen Fall aufgeknüpft werden.
Ich biete also Fräulein Zinca Klork den Arm, führe sie nach meinem Wagen und wir begeben uns schnellstens nach dem »Hôtel der Zehntausend Träume« zurück.
Hier treffe ich
Weitere Kostenlose Bücher