Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claudius Bombarnac

Claudius Bombarnac

Titel: Claudius Bombarnac Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
Vom Netzwerk:
Nyctalope wie die Eulen, Uhus, die Fledermäuse oder die Katzen auf dem Dache.
    Mein Fahrplan lehrt mir zunächst, daß der Schienenstrang sich nahe der Fahrstraße zwischen Tiflis und dem Caspisee hinzieht und dabei Sachanlong, Poily, Elisabethpol, Karascal, Aliat mit Baku durch das Thal der Kura verbindet. Einer Eisenbahn gestattet man keine »Höflichkeitsbesuche«. Sie muß möglichst die gerade Linie verfolgen. Das thut die transgeorgische Bahn.
    Unter den Stationen, die sie berührt, ist eine, die ich gern mit Muße in Augenschein genommen hätte, Elisabethpol; vor Empfang der Depesche des »XX. Jahrhundert« hatte ich geplant, daselbst eine Woche über zu verweilen. Und nun, da ich die verlockendsten Schilderungen von der Stadt gelesen, sollte ich daselbst nur fünf Minuten lang – zwischen zwei und drei Uhr des Morgens – Halt machen! Statt Elisabethpol im Sonnenglanze zu betrachten, davon nur einen unbestimmten Gesammteindruck in der blassen Beleuchtung des Mondes mit hinwegnehmen!
    Nach gründlicher Durchsicht des Fahrplans gehe ich daran, meine Reisegefährten etwas näher zu betrachten. Zusammen ihrer Vier, nahmen wir natürlich die vier Ecken des Coupés ein. Ich habe an der Zwischenwand eine Ecke erobert und sitze mit dem Gesicht nach vorn.
    In den beiden Winkeln der andern Wagenlängsseite lehnen zwei Reisende einander gegenüber. Kaum eingestiegen, und nachdem sie die Mütze über die Ohren gezogen, haben sie sich in ihre Decken gewickelt – zwei Georgier, so weit ich’s zu errathen vermochte. Sie gehören aber jedenfalls zu der Specialrasse privilegirter Bahnwagenschläfer und werden vor dem Eintreffen in Baku schwerlich wieder erwachen. Von diesen Leuten war nichts zu wollen; für sie ist das Coupé kein Wagen, sondern ein Bett.
    Vor mir ein Mann von ganz abweichendem, keineswegs orientalischem Typus: zweiunddreißig bis fünfunddreißig Jahre alt, Gesicht mit röthlichem, ziemlich entwickeltem Kinnbart, Blick sehr lebhaft; Nase eines Vorstehhundes; Mund sucht offenbar zu sprechen; Hand sehr familiärer Art, zum Drücken Anderer wie geschaffen; ein großer, kräftiger Mann mit breiten Schultern und mächtigem Torso. In der Art und Weise, wie er’s sich bequem gemacht, seine Reisetasche ohne Zögern untergebracht, wie er einen großen carrirten Plaid handhabt, erkenne ich den »Traweller« angelsächsischer Abkunft, der sich, an weitere Reisen gewöhnt, weit mehr an Bord der Eisenbahnen oder der Packetboote als in seinem »Home« befindet, wenn er überhaupt ein solches Home sein eigen nennt. Das muß ein Handlungsreisender sein. Ich bemerke an ihm eine Masse Schmuckgegenstände, Ringe an den Fingern, eine Nadel in der Cravatte, Manschettenknöpfe mit Photographien und allerlei Berloques an der Uhrkette. Obwohl er keine Knöpfe in den Ohrläppchen und auch keinen Ring durch die Nase trägt, würde es mich gar nicht wundern, wenn er ein Amerikaner – ja noch mehr – ein Yankee wäre.
    Da bin ich ja mitten im Geschäft. Meine Aufgabe als Reporter, die Interview’s jeder Art nöthig macht, ist es, herauszufinden, wer meine Reisegefährten sind, woher sie kommen und wohin sie gehen. Ich werde also mit meinem Gegenüber den Anfang machen. Das scheint übrigens nicht schwierig. Er scheint weder an Schlaf noch an Betrachtung der vorüberfliegenden Landschaft zu denken, obgleich die letzten Sonnenstrahlen diese recht schön beleuchten. Irre ich nicht, so verspürt der Mann ebensoviel Lust, mir zu antworten, wie ich ihn zu fragen – und umgekehrt.
    Schon will ich losschießen … da hält mich eine Befürchtung zurück. Wenn nur der Amerikaner – ich wette, daß es einer ist – nicht selbst ein Berichterstatter, etwa für die »World« oder den »New-York Herald«, und ganz ausschließlich beauftragt ist, die großtransasiatischen Bahnzüge zu begleiten und literarisch auszuschlachten. Das könnte mich in Wuth bringen. Lieber Alles als einen Rivalen!
    Mein Zögern verlängert sich. Frage ich ihn … frage ich ihn nicht? Schon kommt die Nacht heran. Endlich entschließe ich mich, den Mund aufzuthun, da kommt mir mein Reisegefährte zuvor.
    »Sie sind Franzose? redet er mich in meiner Muttersprache an.
    – Ja, mein Herr,« antworte ich ihm in der seinigen.
    Nun also, wir verstanden uns gegenseitig.
    Das Eis ist gebrochen und jetzt wechseln die Fragen von einer zur andern Seite.
    Alle Welt kennt ja wohl das orientalische Sprichwort:
    »Ein Narr kann in einer Stunde mehr fragen, als ein Weiser im

Weitere Kostenlose Bücher