Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
Mit Pferden kenne ich mich besser aus.«
»Es wäre nicht weiter schlimm, wenn Sie den Wagen zu Bruch fahren. Mein Schwiegervater hat noch neun weitere von diesem Modell zu Hause.« Schwang in ihrem flachen amerikanischen Dialekt etwa Missbilligung mit? »Wenn Sie wollen, erteile ich Ihnen Fahrunterricht. Sie werden sehen, dass ich sehr gut bin.«
»Madeleines Vater war Rennfahrer«, erläuterte Edgar. »Und er gab seine Fertigkeiten - zusammen mit seiner Bescheidenheit - an seine Tochter weiter.«
Die Missbilligung war unmissverständlich.
Während ihrer Unterhaltung hatte der Chauffeur das Handgepäck im Wagen verstaut. Nun stand er hoffnungsvoll neben der Fahrertür.
»Also schön, Gopal! Du hattest vermutlich genug Aufregung für einen Tag. Bring uns zum Palast zurück«, sagte Madeleine. »Edgar, Sie sitzen vorn. Ich will es mir mit Ihrem Freund und Kollegen hinten gemütlich machen und ihm von Ranipur erzählen.« Sie grinste Joe an. »Alles über Ranipur. Ich werde die Geheimnisse der Rajputen lüften! Obwohl ich es sicher nicht leicht haben werde, gegen die Eindrücke anzugehen, die Ihnen Edgar zweifelsohne bereits vermittelt hat. Die weibliche Sicht der Macht ist nie dieselbe wie die männliche.«
Sie ließen sich auf den Ledersitzen nieder, und der elegante Wagen setzte sich in moderater Geschwindigkeit in Bewegung.
>Vermutlich wollte sie nur Edgar reizen<, dachte Joe, als Madeleine verstummte und ihn seine eigenen Eindrücke der Landschaft sammeln ließ, ungestört von Kommentaren. Er sah sich begierig um. Die Wüstenlandschaft wich Obstgärten und bestellten Feldern mit Mais, Hirse und anderem Getreide, das Joe nicht kannte. Hier und da Stücke von Jangal, was laut Edgar unkultiviertes Land bedeutete, dann wieder gezähmte Landschaft, kleine, strohgedeckte Dörfer, geschützt unter uralten Feigenbäumen. Ochsen schritten unter der gnadenlosen Sonne vor ihren Pflügen. In dem ausgetrockneten Land bemerkte Joe zu seiner Freude schläfrige Teiche mit jadegrünem Wasser und gelegentlich sich drehende Wasserräder und Hinweise auf Bewässerungssysteme. Und überall waren Menschen bei der Arbeit, Männer, die sich von dem graubraunen Hintergrund in weißen Dhotis und leuchtenden Turbanen in Safrangelb und Magentarot abhoben.
In einem der Dörfer wurde ihre Fahrt kurz unterbrochen, als eine Gruppe Mädchen - schillernd wie Paradiesvögel in rosa und giftgrünen und gelben Saris - die Straße überquerten. Sie plauderten und lachten und machten, da war sich Joe sicher, obszöne Bemerkungen über die weißen Gesichter in dem weißen Auto, dann verließen sie die Straße, schwere Kupfertöpfe mit Milch auf den Köpfen balancierend, die Rücken kerzengerade, in geschmeidiger Anmut.
Joe war fasziniert. »Was für Schönheiten«, rief er.
»Dorfmädchen«, meinte Madeleine abwertend. Sie sah Joe abschätzend und amüsiert an und fügte hinzu: »Wenn Sie an weiblicher Schönheit interessiert sind, werden Sie im Palast eine exzellente Auswahl vorfinden. Tja, zumindest unter denjenigen, die Sie sehen dürfen . Die anständigen Frauen befinden sich immer noch in der Purdah.«
»Ich dachte, der Herrscher sei gegen die Purdah ? Ist das nicht eine Moguln-Tradition? Die Purdah ist doch keine rajputische Sitte?«
»Das ist richtig. Die Rajputen übernahmen die Purdah von ihren Eroberern - den Mogulherrschern. Sie war damals groß in Mode. Die Frauen gewöhnten sich vermutlich daran, und die meisten Frauen bei Hofe würden sich strikt weigern, wenn man Ihnen die Wahl ließe . und um Udai gegenüber Fairness walten zu lassen, ich glaube, er hat ihnen diese Wahl erlaubt. Seine ersten beiden Frauen blieben eisern hinter den Gitterfenstern der Zenana. Seit sie geheiratet haben, hat kein Mann sie gesehen, abgesehen von ihrem Ehemann. Und davor auch nur ihre Brüder. Können Sie sich das vorstellen? Sie haben ihr gesamtes Leben von Eunuchen bewacht in der Gesellschaft anderer Frauen verbracht, von denen sie die meisten nicht ausstehen können. Den lieben, langen Tag zanken sie sich und schmieden Intrigen. Ihre wichtigsten Gesprächsthemen sind, wer von ihnen die kostbarste Halskette geschenkt bekam und wie oft der Herrscher letzten Monat mit ihnen geschlafen hat. Was für ein Leben!« Madeleine erschauderte auf theatralische Weise. »Ich habe mit ihnen nichts zu schaffen. Soweit es mich betrifft, sind sie tot. Tot für die Welt.«
»Eine ziemlich kurzsichtige, von mangelhaften Kenntnissen zeugende Einstellung, wenn ich
Weitere Kostenlose Bücher