Cleverly, Barbara - Die List des Tigers
mir gefällt es ganz gewiss nicht!«, erklärte Madeleine nachdrücklich.
Edgar ignorierte sie. »Udai gefällt es auch nicht immer. Morgen zeige ich Ihnen die Prunkzimmer. In der Zwischenzeit reizt mich allmählich der Gedanke an ein Bad.« Er wandte sich an Madeleine. »Können wir weiterfahren?«
»Natürlich. Aber zuerst müssen Sie sich auf eine weitere Überraschung gefasst machen!«, warnte Madeleine. »Sie werden auf texanische Weise begrüßt!«
Sie wies zum Himmel über den abgeflachten Hügeln, die sie von der Stadt und dem Palast trennten. Ein kleines Flugzeug tauchte auf und zog träge seine Kreise. Als der Pilot sie entdeckte, drehte er um und flog mit hoher Geschwindigkeit auf sie zu. Er tauchte ab, und alle im Auto duckten sich, als das Flugzeug nur wenige Meter über ihren Köpfen die staubige Luft durchschnitt. Joe blinzelte in die Sonne, als es nach Westen entschwand. In dem ZweisitzerFlugzeug war der vordere Sitz leer. Die deutlich sichtbare Silhouette des Piloten auf dem Rücksitz hob grüßend einen Arm.
»Wer zur Hölle ist das?«, riefJoe bestürzt.
»Der beste Pilot von Indien und Amerika und überall«, erklärte Madeleine voller Stolz. »Das ist Captain Stuart Mercer, Ex-Escadrille-Americaine. Mein Bruder.«
»Ihr Bruder? Was macht er in Ranipur?«
Madeleines Blick heftete sich auf die kleine Curtiss Jenny, die eine Reihe von Kunstflugfiguren durchführte. »Tja, ich werde nie ganz sicher wissen, ob Prithvi sich in mich oder Stuart verliebte!«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Er traf uns auf einem Flugplatz - na ja, es war eher eine Kuhweide - in den Staaten, wo wir auftraten. Kam nach dem Ende der Vorführung hinter die Bühne, könnte man sagen. Wir haben - wir hatten - ein Familienunternehmen. Wir waren Wanderflugkünstler. Haben Sie jemals von den >Airdevils< gehört?«
Joe nickte. Das war sie also gewesen - eine Tanzakrobatin auf einem Flugzeugflügel bei einem Flugzirkus? Hatte Sir George das absichtlich verwechselt? Joe hatte von vielen Flugschauen gehört, hatte einige von denen, die den Weg nach Europa geschafft hatten, sogar selbst gesehen. Ihre selbstmörderisch tollkühnen Heldentaten hatten ihm den Atem stocken lassen. Die jungen Piloten, von denen viele den Kriegsdienst überlebt hatten, wurden in einer langweiligen und wenig abenteuerlichen Welt, die keine Wertschätzung für ihr Talent kannte, halt- und wurzellos. Sie sehnten sich danach, ihren Lebensunterhalt mit ihren Flugkünsten zu verdienen, und bald schon entdeckten sie den hohen Unterhaltungswert dieser Künste. Die Menschen bezahlten, um sie fliegen zu sehen, und zahlten sogar, um selbst einmal fliegen zu dürfen. Joe schauderte angesichts dieser Vorstellung. Wie nicht anders zu erwarten, gewöhnte sich das Publikum alsbald an derartige Spektakel und wurde übersättigt. Die Piloten mussten sich immer tollkühnere Kunststücke überlegen, um die Aufmerksamkeit des Publikums zu erhalten. Todesstürze, Flüge mitten hinein in die Niagarafälle, Übersprünge vom Rennauto zu einem niedrig fliegenden Flugzeug, sogar Sprünge in der Luft von einem Flugzeug zum anderen, alles wurde um des Geldes willen versucht. Einige dieser Teufelskerle wurden reich, aber die meisten hatten Mühe, auch nur genügend Geld für anständige Mahlzeiten zusammenzukratzen, und manche ließen dabei ihr Leben.
»Flugzeuge konnte man für sechshundert Dollar erwerben, als Stuart nach Hause kam. Es gab keinen Mangel. Sie häuften sich in den Staaten überall. Das Militär war froh, sie loszuwerden. Auch Ersatzteile stellten kein Problem dar. Also kaufte Stuart zwei Stück und schlachtete eines aus, um sich das Flugzeug zu bauen, das er wollte, und schon waren wir im Geschäft. Dad unterstützte uns als Mechaniker, und ich lernte das auch bald - ich kann fliegen und eine Maschine warten und auch auf den Flügeln tanzen.« Madeleine sprach voller Stolz und mit einem Anflug von Kampfgeist.
Joe vermutete, dass sie wahrscheinlich auf viel männliche Kritik stieß, weil sie einer derart undamenhaften Beschäftigung frönte. Von ihm würde sie das nicht zu hören bekommen; er war fasziniert. Madeleine Mercer war eine sehr ungewöhnliche und attraktive Frau, musste er zugeben, und es wunderte ihn keineswegs, dass sie die ungeteilte Aufmerksamkeit des Sohnes eines Maharadschas gewinnen und halten konnte. Er lenkte seine eigene Aufmerksamkeit von der lächelnden, plaudernden Frau an seiner Seite zu dem Piloten, der gerade ein Manöver
Weitere Kostenlose Bücher