Code Freebird
Später habe ich erfahren, dass er an dem berüchtigten Midtown Massacre beteiligt war, wo er den befehlshabenden Offizier mit einer Waffe bedroht hat.«
Midtown Massacre … da klingelte es in Levys Kopf. Cromley hatte es erwähnt. »Was war vorgefallen?«
»Dieser Einsatz amerikanischer Einheiten in der Nähe des Bagdader Flughafens wird sicherlich nicht als Heldengeschichte in die Annalen eingehen. Der Vorfall wurde so gut wie möglich vertuscht. Soldaten, die nicht an diesem Einsatz beteiligt waren, beschimpfen ihre eigenen Kameraden als Mörder und Vergewaltiger.«
»Starker Tobak.«
»Bei einem Hinterhalt irakischer Truppen kam es Anfang April, nachdem Bagdad eigentlich schon gefallen war, zu einem rund sechsstündigen Feuergefecht, bei dem hundert bis zweihundert irakische Kämpfer fielen. Ihre Leichen sollen sich in den Straßen getürmt haben. So ähnlich wie bei den Bandenkriegen im Chicago der dreißiger Jahre.
Nun, dieser Vorfall wäre nicht weiter bemerkenswert, wenn auf beiden Seiten Opfer zu beklagen gewesen wären. Doch wie durch ein Wunder war kein einziger amerikanischer Soldat während des sechsstündigen Feuergefechts verletzt worden.«
»Es gab nur Tote auf irakischer Seite?«
Nimrod nickte. »In meiner gesamten Militärzeit ist mir noch nie etwas Derartiges untergekommen. Egal, gegen wie viele Feinde man kämpft, eine Kugel, und sei es auch nur eine verirrte, trifft immer jemanden aus den eigenen Reihen.
Stattdessen waren die Straßen voll mit toten Irakern.«
»Was ist da geschehen?«
»Ich weiß es nicht. Niemand der Beteiligten spricht über seine Erlebnisse beim Midtown Massacre. Leider.«
»Und was hatte dazu geführt, dass der Blade Runner den befehlshabenden Offizier bedroht hat?«
»Wie gesagt, ich habe es nur erzählt bekommen. Auf jeden Fall soll es einen Streit zwischen den beiden gegeben haben. Es ging wohl darum, ob der Trupp von Sergeant Boyle einen Bunker überprüfen sollte, in dem sich irakische Kämpfer versteckt hielten.«
»Ich fürchte, ich verstehe nicht, worauf Sie hinauswollen.«
Nimrod blieb stehen. »Kennen Sie die übliche Vorgehensweise im Häuserkampf?«
Levy erinnerte sich an Huey O’Brien, Grafenwöhr und den Death-Check. »Ja, ich habe es mal gesehen.«
»Gut, dann wissen Sie, was mit ›Überprüfung eines Bunkers‹ gemeint ist, wenn darin feindliche Kämpfer vermutet werden.«
Levy nickte. Ja, er hatte es gesehen. Zwei in die Brust, eine in den Kopf. Egal, ob der Feind noch am Leben oder bereits tot war. Gefangene wurden nicht gemacht.
Eine traurige Vorgehensweise für ein Volk, das sich auf die Fahne geschrieben hatte, den Irakern Freiheit und Demokratie zu schenken. Von den international anerkannten Regeln der Kriegsführung, festgelegt in der Genfer Konvention, ganz zu schweigen.
»Und der Blade Runner hat sich gegen den Befehl geweigert, diesen Bunker zu überprüfen?«, fragte Levy.
»Möglich, sogar wahrscheinlich. Ansonsten kann ich mir seine weitere Vorgehensweise nicht erklären. Wie gesagt, niemand der Beteiligten will darüber sprechen, alle wollen das Midtown Massacre totschweigen.«
»Nur der Blade Runner nicht. Er will es an die Öffentlichkeit bringen«, mutmaßte Levy.
»So scheint es, ja. Deshalb ist er mir als möglicher Attentäter überhaupt eingefallen. Die Befehlsverweigerung gilt in Teilen der Army als mutiger Akt. Er wurde und wird für sein Handeln im Nachhinein verehrt. Für den einfachen, kampferprobten Soldaten ist er das sinnbildliche, verlorengegangene Gewissen … ein Gewissen, das sie im Irak geopfert haben.«
Mittlerweile hatten Levy und Nimrod eine Runde um das Krankenhaus gedreht und standen nun wieder vor dem Eingangstor.
»Meine Kollegen werden darauf drängen«, sagte Levy, »dass die Ermittlungen heruntergefahren werden. Es handelt sich schließlich um eine auswärtige Angelegenheit, die die Interessen unseres Landes nicht berührt.«
»Genau das habe ich erwartet«, antwortete Nimrod. »Nichts anderes wird von offizieller Seite bei uns geschehen. Im Hintergrund sind ihm jedoch die Army und die CIA auf den Fersen. Sie werden ihn still und heimlich beseitigen wollen. Auf keinen Fall soll etwas davon an die Öffentlichkeit dringen. Daher muss ich die Sache selbst in die Hand nehmen.«
»Sie wollen den Blade Runner auf eigene Faust stellen und ihn vor ein Militärgericht bringen?«
Nimrod schüttelte den Kopf. »Ich werde ihm eine Chance geben, seine Geschichte zu erzählen … Sind Sie im
Weitere Kostenlose Bücher