Codewort Rothenburg
dann, wenn sie den Fall gelöst hatten. Jetzt war dafür keine Zeit. Schade, dass Luise schon schlief. Eine Massage würde ihm guttun. Seufzend schaltete er das Licht aus und schlich ins Schlafzimmer. Hoffentlich blieb es ruhig heute Nacht. Der letzte Alarm war fast beängstigend lange her. Mit jedem Tag, den die Engländer nicht in Richtung Berlin flogen, stieg die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs. Sie waren bisher gut weggekommen. Reine Glückssache. Die Angriffe galten fast immer dem Flughafen, und so weit war Tempelhof nicht entfernt von der Insel. Daut musste lächeln. Selbst in seinen Gedanken strich er das Adjektiv »rot«, wenn er von seinem Viertel sprach. Die Rote Insel , so hieß das Viertel früher. So wie der Rote Wedding . Rote gab es nicht mehr. Nicht in ihrem Viertel jedenfalls. Ein paar mochten sich in der Stadt verstecken, wer wusste das schon. Viele konnten es nicht sein, und die wenigen trauten sich nicht mehr, etwas Politisches zu sagen.
Er kroch vorsichtig ins Bett und legte den Arm um Luises Hüfte. Sie rückte einen Zentimeter von ihm ab, was ihm einen leichten Stich versetzte. Er hob den Kopf und gab ihr einen flüchtigen Kuss auf die Wange.
»Schlaf schön, Liebes!«
Sie antwortete mit einem leisen Brummen.
Vierzehn
Das Messingschild am Hauseingang Giesebrechtstraße 11 war blank poliert. Pension Schmidt in schwarzen, schlichten Buchstaben. Es war kurz nach elf am Samstagmorgen, als Daut den Klingelknopf betätigte. Aus dem Inneren hörten sie eine helle Glocke anschlagen.
»Für einen Puffbesuch ist das nicht gerade die richtige Zeit«, meinte Rösen. Daut schwieg und versuchte, den pochenden Kopfschmerz zu verdrängen.
Erst nach dem zweiten, diesmal energischeren Klingeln öffnete eine junge Frau die Tür. Sie trug die typische schwarze Hausmädchentracht mit weißer Schürze. Daut hielt ihr seine Dienstmarke vors Gesicht und stürmte ohne ein Wort der Erklärung an ihr vorbei.
»Manieren sind das!« Das Mädchen war verärgert, aber keiner der beiden Polizisten sah einen Grund, sich zu entschuldigen. Stattdessen bellte Rösen im Befehlston:
»Holen Sie den Chef dieses Etablissements. Unverzüglich!«
»Es gibt keinen Chef. Aber wenn Sie Kitty Schmidt sprechen möchten ...«
»Halten Sie hier keine Volksreden, wir wollen die oder den sprechen, dem dieser Laden hier gehört.«
Das Mädchen rang sichtlich damit, die Beherrschung nicht zu verlieren.
»Wen darf ich melden?«
Daut platzte der Kragen.
»Sie dürfen Ihrer Chefin mitteilen, dass sie genau eine Minute Zeit hat, ihren Hintern hierherzubewegen. Andernfalls lassen wir sie abführen und ins Präsidium bringen.«
Das Dienstmädchen machte einen Knicks. Daut hatte das Gefühl, in einen schlechten UFA-Film geraten zu sein.
»Bitte nehmen Sie doch Platz, die Herren. Ich werde sehen, ob Frau Schmidt Zeit für Sie hat.«
Bevor die Polizisten etwas sagen konnten, war sie durch eine Seitentür verschwunden.
Daut blickte sich im Raum um. Sie standen in einer Art Vestibül mit Stuckdecke und Stuckverzierungen an den Wänden. An den Fenstern hingen bordeauxrote Brokatvorhänge, zwei große Fayence-Spiegel reflektierten das Licht. Im Dunkeln musste das einen tollen Effekt mit dem riesigen Kristallleuchter geben.
Rösen pfiff leise durch die Zähne.
»Nobel geht die Welt zugrunde.«
Er machte zwei Schritte auf eine auf gedrechselten Füßen ruhende Mahagonitruhe zu. Als er den Deckel öffnete, erschien wie von Zauberhand durch einen versteckten Mechanismus angehoben der versenkte Boden. Durch den Kristallspiegel, der in die Innenseite des Deckels eingelassen war, wirkte die Bar noch beeindruckender. Rösen hob Flasche auf Flasche an und studierte die Etiketten.
»Das nenne ich ein Getränkeangebot. Da sollte sich der Wirt im Rübezahl ein Beispiel nehmen.«
Er zog den Stöpsel einer Cognacflasche in Karaffenform und schnupperte am Flaschenhals. Die Tür öffnete sich geräuschlos.
»Ich sehe, Sie haben Geschmack. Darf ich Ihnen ein Glas anbieten?«
Daut überging das eine Spur zu süffisant vorgetragene Angebot.
»Erst einmal sollten Sie sich vorstellen, Frau ...«
»Schmidt. Kitty Schmidt. Ich habe das Vergnügen, diese Pension zu leiten.«
Die Stimme klang sanft, fast seidig. Daut musterte die Frau von oben bis unten. Selten hatte er einer so eleganten Erscheinung gegenübergestanden. Obwohl sie nur in einen bodenlangen Morgenmantel gehüllt war, wirkte sie wie eine Grande Dame. Der Federkragen schmeichelten ihrem
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