Codewort Rothenburg
gefalteten Stapel bedruckter Zettel heraus.
»Der druckfrische Informationsdienst von Robert. Sind leider nur zwanzig Exemplare, die meisten habe ich schon in Marienfelde in der Fabrik verteilt, und für Charlotte wird es auch immer schwieriger, an Papier zu kommen.«
Gustav Neeb nahm dem massigen Mann das Päckchen ab.
»Das ist viel zu gefährlich. Wenn Kurt in die Kaserne kommt, wird er von oben bis unten gefilzt. Sie würden die Blätter sofort bei ihm entdecken. Die müssen wir hier in Berlin verteilen.«
Der Künstler war schon aufgesprungen, um die Papiere in Empfang zu nehmen.
»Aber ihr wisst, dass ihr euch auf mich immer verlassen könnt. Das kannst du auch Uhrig sagen. Wenn er etwas für uns an der Front hat, nur her damit. Ich bringe es unter die Leute. Macht euch nicht zu viel Sorgen um mich. Was wir dringend brauchen, ist eine Lösung für unseren Helden.«
Er wies auf das Sorgenkind , und Luise glaubte, einen sarkastischen Unterton in der Stimme des Bildhauers zu hören.
Erna Neeb legte dem jungen Mann die Hand auf den Arm.
»Dafür ist gesorgt, Kurt. Er ist in ein paar Stunden aus der Schusslinie. Wir haben da ...«
Sie brach mitten im Satz ab. Luise sah aus den Augenwinkeln, wie Gustav Neeb einen Finger an den Mund legte und ein Nicken in ihre Richtung andeutete. Er vertraute ihr nicht. Obwohl es keinen Grund gab, schämte sich Luise und spürte, wie ihr die Röte ins Gesicht stieg. Als wüsste Erna, was in ihr vorging, stand sie auf und sagte fröhlich:
»So, jetzt haben wir genug politisiert. Jetzt wollen wir unseren Freund gebührend verabschieden. Ich hole den Wein.«
Die Ankündigung wurde mit allgemeinem Gejohle begrüßt, und anschließend tranken sie und Schumacher erzählte Anekdoten aus längst vergangenen Zeiten. Von Reisen nach England und Spanien, von Begegnungen mit anderen Künstlern, deren Namen Luise nichts sagten. Keiner dieser Maler oder Bildhauer hielt sich noch in Deutschland auf.
»Der hat es richtig gemacht«, sagte Schumacher jedes Mal. »Der ist rechtzeitig weg.«
Zum Schluss nahm Libs die Ziehharmonika und stimmte Lieder an, von denen Luise nur die wenigsten kannte. Alle anderen sangen lauthals mit.
Nach zwei Stunden hatten sie sich fröhlich und ausgelassen voneinander verabschiedet.
»Bis Sonntag!«
»Ja, bis Sonntag. Das wird ein besonderer Tag!«
»Oh ja, das wird es. Ganz bestimmt!«
Man spürte, dass alle in gespannter Vorfreude waren, und Luise merkte, dass sie mitfieberte. Jetzt, wo sie hier auf dem Bett in ihrer Wohnung lag, verstand sie nicht mehr, was um sie und mit ihr geschah. In was war sie da nur hineingeraten? In eine Gruppe von Verrätern? Andererseits saßen dieser Harro und seine Frau Libertas in hohen Positionen. Da kam man doch nicht hin, wenn man gegen die Regierung arbeitete. Wenn man sie allerdings so reden hörte ... vor allem Libertas. Ständig brauste sie auf und musste von ihrem Mann im Zaum gehalten werden. Er schien viel ruhiger, sprach bedächtig und überlegt. Aber auch, was er sagte, ließ an Klarheit nichts zu wünschen übrig. Luise war sich sicher, dass er Hitler und seine Paladine hasste. Allesamt, wie sie da waren.
Zwölf
Emma Gutjahr saß aufgelöst auf dem wackligen Holzstuhl vor Dauts Schreibtisch. Sie war ein zähes Luder, das musste er zugeben. Vor einer halben Stunde hatte er Rösen aus dem Zimmer geschickt. Er wollte die Zügel anziehen, ihm blieb keine Wahl. Diese Emma war die einzige Spur in einem Fall, der sich immer mehr im Nebel auflöste. Fünf Tage waren seit der Tat vergangen, und sie waren noch immer keinen Schritt weiter. Er musste aus ihr rausquetschen, was herauszuholen war - und noch ein bisschen mehr. Daut trat hinter die Frau und schob seine Finger in ihren blonden Bubikopf. Auf ihren Armen bildete sich eine Gänsehaut. Gut so! Sie bekam Angst. Daut griff in die Hosentasche und holte ein Klappmesser heraus, das er seit Kindertagen immer bei sich trug. Er ließ die Klinge herausspringen und schnitt langsam eine Strähne des dicken Haares ab. Er blickte von oben auf ihren Kopf.
»Eine unechte Blondine. So etwas gefällt dem Führer aber gar nicht!«
Daut drehte die abgeschnittene Locke zwischen den Fingern und ließ sie in ihren Schoß fallen. Ihre Beine hielt sie eng geschlossen. Der Rock war einige Zentimeter nach oben gerutscht, und er sah, dass sie echte Seidenstrümpfe trug. Ein süßes Parfüm stieg ihm in die Nase, vermischt mit einer leichten Schweißnote. Angstschweiß. Daut fuhr mit
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