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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Ende des Tisches widersprach ein schlanker, hochgewachsener Mann mit aristokratischen Gesichtszügen und einem fast kränklich wirkenden, blassen Teint:
    »Da sei dir mal nicht so sicher, Libs. Was man von der Heeresleitung hört, klingt anders. Die hohen Herren gehen zwar auch davon aus, dass der Spuk schnell zu Ende ist. Nur nicht so, wie du es hoffst. Blitzkrieg - wenn du verstehst, was ich meine.«
    Die Frau blieb stehen, winkelte den Arm mit der Zigarette ab und blickte ihren Gesprächspartner aus blitzenden Augen an. Luise überlegte, ob die beiden flirteten oder eine Art Machtkampf austrugen.
    »Ach was, Harro! Stalin ist vorbereitet. Seit Monaten schicken wir und viele andere Genossen ihm die Aufmarschpläne. Erna, wann habt ihr zuletzt gesendet?«
    Erna Neeb schüttelte den Kopf, und Luise wusste sofort, dass darüber vor ihr nicht gesprochen werden sollte. Vertrauen hin oder her. Werner legte ihr die Hand auf den Unterarm und flüsterte:
    »Unser streitbares Ehepaar. Im Prinzip sind sie ein Herz und eine Seele, auch wenn es im Moment nicht so aussehen mag.«
    Der Mann ihr gegenüber schien zu merken, dass sie von ihm sprachen, denn er prostete Luise mit dem Glas Sherry zu, an dem er die ganze Zeit genippt hatte.
    »Willkommen in unserer Runde, Luise! Ich hoffe, ich darf Sie so nennen, denn hier benutzen wir nur das vertraute Du. Manchmal sind sogar die Vornamen falsch, trotzdem gebietet es meine anerzogene Höflichkeit, mich vorzustellen.« Dabei erhob er sich halb im Sessel und deutete eine Verbeugung an.
    »Gestatten: Harro. Die wie immer aufgeregte Dame ist meine Frau Libertas - gemeinhin Libs genannt.«
    Er wandte sich wieder seiner Frau zu.
    »Leider kann ich deinen Optimismus nicht teilen, meine Liebe. Ich habe mich gestern mit Koljatschew getroffen. Er sagte, dass Stalin die Warnungen nicht ernst nimmt. Er lache darüber. In seinen Augen seien das alles - die Damen mögen den Ausdruck verzeihen - Latrinenparolen.«
    Seine Frau hob die Augenbrauen und nahm einen Zug aus der Zigarette, ehe sie erwiderte: »Papperlapp. Koljatschew ist ein ganz, ganz kleines Licht in der Botschaft. Was weiß der schon, was Stalin denkt. Vielleicht ist das Ganze ein Ablenkungsmanöver, damit wir nicht mitbekommen, wie gut sich die Genossen Rotarmisten vorbereiten.«
    Luise stand der Mund vor Staunen offen. Worüber redeten diese Leute? Wenn sie es richtig verstand, glaubten sie an einen unmittelbar bevorstehenden Krieg mit Russland. Und diese nervöse, schick und teuer gekleidete Frau war sich sicher, dass Deutschland diesen Krieg verlöre. Mehr noch: Sie hoffte darauf. Waren diese Leute Kommunisten? Luise kannte keine Roten, daheim gab es keine. Halt, das stimmte nicht. Einen gab es in ihrer kleinen Stadt. Otto Münser, den hatte die SA 1926 halb totgeschlagen. Seitdem sprach er nicht mehr. Als wolle sie Luise Gedanken bestärken, sagte Libertas, als sie sich wieder an den Tisch setzte:
    »Was immer geschehen mag, in einem Sieg der Sowjetunion liegt unsere einzige Chance!«
    Luise senkte den Kopf über ihren Teller und löffelte den Eintopf. Zum Glück unterhielt sich ihr Tischnachbar angeregt mit einem jungen Mann. Das Gespräch der beiden nahm Luise nur als Geräuschteppich wahr, zu sehr war sie mit ihrer Verwirrung beschäftigt. Als das Dessert abgetragen war, trat Gustav Neeb neben sie.
    »Kommen Sie, Luise, gehen wir ins Wohnzimmer. Sie sehen ein bisschen ratlos aus.«
    Er lächelte sie väterlich an, und Luise traute sich endlich zu sprechen.
    »Sagen Sie, Herr Neeb ...«
    »Gustav, bitte.«
    »Gut, Gustav. Ich verstehe nicht, warum alle glauben, dass es zum Krieg mit Russland kommt. Da gibt es doch diesen Vertrag ...«
    »Den Vertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion gibt es, da hast du recht, Luise. Hitler brauchte ihn, um den Rücken freizuhaben. Sein Ziel war und ist der Osten. Hast du Mein Kampf gelesen?«
    Luise schüttelte den Kopf.
    »Da steht klipp und klar, dass Deutschlands Todfeind der russische Bolschewismus ist, mit dem man um die Weltherrschaft ringen muss.«
    »Als er das geschrieben hat, war Hitler ein junger Mann. Jetzt ist er Führer einer Nation.«
    »Wir haben verlässliche Informationen, Luise. Von Menschen in hohen Positionen, die genauso denken wie wir.«
    Neeb stand auf und holte ein Büchlein aus einem Sekretär an der Stirnwand des Wohnzimmers. Das Heft war aus dünnem, billigem Papier und passte bequem in eine Hosentasche. Neeb drückte es Luise in die Hand, die es

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