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Codewort Rothenburg

Codewort Rothenburg

Titel: Codewort Rothenburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Béla Bolten
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Ordner auf, um zu sehen, über wen hier akribisch genau noch die letzte Peinlichkeit erfasst war. Drei Offiziere, ein Mitarbeiter aus der Albrechtstraße. Er überflog das erste Protokoll. Agentin Inge. Gute Frau, grundsolide, bürgerliche Existenz, über jeden Zweifel erhaben. Als er zur zweiten Seite umgeblättert hatte, verzog er den Mund zu einem Grinsen. Ja, ja, nicht jedem war eine stattliche Männlichkeit gegeben. Damit hatte er zumindest keine Probleme.

Fünf

    In Dauts Magen rumorte es. Er hatte noch nicht gefrühstückt. Vielleicht war es auch das allgemeine Unwohlsein, das ihn seit einigen Wochen überkam, wenn er sein Büro am Werderschen Markt betrat. Draußen hatte ein frühsommerhafter Sonntag begonnen, was seine Stimmung genauso wenig hob wie die Aussicht, in den kommenden Stunden nichts Anständiges zu essen zu bekommen. Am liebsten wäre er nach Hause gefahren und hätte sich zu Luise und den Kindern an den Küchentisch gesetzt. Aber das kam nicht infrage. Er konnte sich keine Eskapaden leisten. Sein Chef hatte ihn auf dem Kieker. Er wusste nicht, warum, doch die Signale waren eindeutig. Anfangs dachte er, es läge an der angespannten Stimmung, weil sie den S-Bahn-Mörder immer noch nicht gefasst hatten. Die Nerven lagen blank, und in der Öffentlichkeit gerieten sie unter Druck. Es war wie in der Systemzeit vor 1933, als die Polizei zum Gespött von Sensationsreportern wurde. Auch diesmal blieb ihnen nichts anderes übrig, als die Presse und den Rundfunk einzuschalten. Die Berlinerinnen mussten gewarnt werden. Es erhöhte die Chance, den Mörder zu fassen, wenn die Menschen auf den Straßen, in den S- und U-Bahnen sowie in den Bussen der Stadt die Augen offenhielten. Sie hatten den Geist aus der Flasche gelassen, jetzt bekamen sie ihn nicht mehr zurück. Die Schreiberlinge fragten, warum die Polizei es nicht schaffte, den geistesgestörten Mann zu fassen, der die Stadt in Atem hielt. Eine Antwort gab es nicht. Der S-Bahn-Mörder blieb ein Phantom. Nur in einem stimmten die wenigen Zeugen überein, die ihn gesehen haben wollte. Der Mann trug die Uniform eines S-Bahners. Sieben Morde hatte er begangen, und bei mindestens noch einmal so vielen Versuchen war er rechtzeitig gestört worden, oder das Opfer konnte sich aus seiner Gewalt befreien. In der S-Bahn fuhr die Angst mit. Als ob die Verdunkelung nicht schon Furcht einflößend genug wäre. Die Frauen organisierten sich in Gruppen, um nicht alleine unterwegs sein zu müssen. Ausgerechnet jetzt, wo viele in der Industrie arbeiten mussten, um die ins Feld gerückten Ehemänner und Freunde »an der Heimatfront« zu ersetzen. Die Berliner Polizei allerdings tappte im Dunklen. Es gab keine einzige verwertbare Spur. Ein Spaßvogel äußerte bei einem Kollegentratsch auf dem Flur die Vermutung, alles sei eine Inszenierung des Propagandaministeriums. Schließlich hätte inzwischen zumindest der weibliche Teil der Bevölkerung größere Angst, in einem dunklen U-Bahn-Eingang ermordet als von einer Fliegerbombe getötet zu werden.
    Kriminaldirektor Obersturmbannführer Ernst Rudat war genauso nervös wie seine Ermittler und damit gefährlich. Er zeigte es nicht, gab sich nach außen gelassen. Wer ihn kannte, wusste, dass alles Theater war. Rudat hatte Angst. Nur der Erfolgreiche war sicher, Versager wurden aussortiert. Ruckzuck fand man sich außerhalb seines komfortablen Büros wieder. Wie jeder Ängstliche suchte Rudat Schuldige an seiner Misere. Er musste die Nieten in seinen Reihen aussortieren. Aus irgendeinem Grund schien er Daut für eine solche Null zu halten. Sah er in ihm den Dorftrottel, der in der Stadt nicht zurechtkam? Glaubte er, es sei besser für seine Truppe, wenn das Landei Daut sie nicht an erfolgreicher Arbeit hinderte? Auf jeden Fall hatte Rudat vor ein paar Wochen Andeutungen gemacht. Von »raus aus dem Bürostaub« und »frischer Frontluft« war die Rede. Zum Schluss hatte der Kriminaldirektor mit einem Fingerknöchel auf die Prothese geklopft. Bereits dieses Geräusch ging Daut durch Mark und Bein. Rudat setzte noch hinzu: »Und die Stadt, die ist doch nichts für Sie. Das merke ich doch!«

    Daut griff in die Jackentasche und holte ein zerdrücktes Päckchen Ernte 23 hervor. Er schüttelte eine zerknitterte Zigarette heraus und glättete sie auf der Schreibtischplatte. Das Gasfeuerzeug zündete erst beim dritten Versuch. Während er tief inhalierte, konzentrierte er sich auf den vor ihm liegenden Aktendeckel. Wie am Anfang jeder

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