Colin Cotterill
karierten Lendenschurz ragten zwei Beinstümpfe hervor. Das geronnene Blut hatte dieselbe Farbe wie der PVC-Bezug.
»Wie fühlen Sie sich?«, fragte Siri. Schon komisch, einem Toten eine solche Frage zu stel en, aber dies war schließlich ein Traum. Er bemerkte das schril e Jaulen der Hunde auf der Straße vor dem Haus. Die Anzeichen dafür, dass er bei Bewusstsein war, mehrten sich, aber der Fischer wol te partout nicht verschwinden.
Er saß da, sah Siri an, und ein zahnloses Grinsen machte sich in seiner unteren Gesichtshälfte breit. Dann wandte er den Blick und streckte einen langen dürren Finger aus. Siri setzte sich im Bett auf, damit er besser sehen konnte. Auf dem blechernen Teetisch stand eine Flasche Mekong-Whisky.
Oder vielmehr eine Mekong-Flasche, denn der Inhalt war dunkler und dickflüssiger als Whisky. Siri tippte auf Blut, aber das war typisch für seine krankhafte Fantasie.
Er sank wieder in die Kissen und fragte sich, wie wach er eigentlich noch werden musste, damit der alte Mann endlich verschwand. Leise bauschte sich der Vorhang, und der Wind trug frischen Tempelrauch ins Zimmer. Er war einen Moment lang abgelenkt, und plötzlich kamen ihm Zweifel. Der Kopf des Fischers konnte ebenso gut eine Falte im Vorhang sein, sein Körper die Vertiefung, die unzählige Rücken in der Stuhl ehne hinterlassen hatten.
Als hätte ein Dirigent seinen Stab geschwungen, verstummte der Hundechor, und Siri hörte nur noch das Tropfen des Wasserhahns. Jetzt gab es keinen Zweifel mehr, er war wach. Wieder staunte er über die Magie der Träume, seiner Träume, und kicherte bei dem Gedanken, dass einer seiner Gefangenen einen Fluchtversuch unternommen hatte.
Erfrischt und seltsam gut gelaunt schlug er das Moskitonetz zurück und stand auf. Er sah die Mücke, die sich zu ihm hineinverirrt und sich an seinem Blut gemästet hatte. Sie flog zum Fenster hinaus, um mit ihrer Heldentat zu prahlen.
Siri setzte den Wasserkessel auf, zog den schiefhängenden Vorhang zu und stel te sein kleines Transistorradio auf den Tisch. Es war eine Sünde, aber dieser Sünde machte er sich gerne schuldig.
Die Sendungen des laotischen Rundfunks dröhnten ab fünf Uhr morgens aus den öffentlichen Lautsprecheranlagen in der ganzen Stadt. Manche Mitbürger hatten die zweifelhafte Ehre, mit Erfolgsmeldungen über die nationale Reisernte aus dem Bett geworfen zu werden. Anderswo ließen gel ende Ratschläge zur Bekämpfung der al gemeinen Schneckenplage die Wände erzittern.
Aber Siri befand sich in einem segensreichen schwarzen Loch, so weit von den Lautsprechern entfernt, dass er die Durchsagen nur als fernes Gemurmel wahrnahm. Stattdessen lauschte er seinem geliebten Transistorradio. Wenn er es nicht al zu laut drehte, konnte er die Weltnachrichten des thailändischen Militärsenders hören. Im laotischen Rundfunk kam ihm die Welt in letzter Zeit etwas zu kurz.
Die Sendungen des thailändischen Rundfunks und Fernsehens waren in der Demokratischen Volksrepublik naturgemäß verboten. Zwar kam man nicht gleich ins Gefängnis, wenn man sie hörte, aber früher oder später klopfte der Abschnittsbevol mächtigte an die Tür und rief so laut, dass die ganze Nachbarschaft es hören konnte: »Genosse, wissen Sie denn nicht, dass diese ausländische Propaganda Sie nur auf verquere Gedanken bringt? Sind wir nicht al e zufrieden mit dem, was wir haben? Warum müssen wir den Kapitalistenschweinen Genugtuung verschaffen, indem wir uns ihren Schmutz und Schund anhören?«
Der Name des Übeltäters wurde auf eine Liste von Subversiven vierter Klasse gesetzt, und theoretisch konnten seine Mitarbeiter ihm das Vertrauen entziehen. In Siris Augen entging dem laotischen Volk durch den Erlass al enfal s ein wenig wohlverdiente Unterhaltung.
Die Thais waren entsetzt, dass gleich nebenan, in Laos, die bösen Kommunisten Einzug gehalten hatten. Zudem gehörte Subtilität nicht unbedingt zu den Stärken ihres Militärs, weshalb Siri dessen Sendungen besonders gerne hörte. Hätte das Politbüro den freien Empfang des Thai-Rundfunks gestattet, hätte das Volk selbst entschieden, in welchem System es leben wol te, davon war Siri überzeugt.
Den Kommentaren thailändischer »Experten« zufolge hegten die Roten eine angeborene Vorliebe für den Partnertausch, eine Schwäche, die ihre Gesel schaft in ein derartiges Chaos stürze, dass »Inzest unvermeidlich« sei.
Ob es tatsächlich dem Kommunismus anzulasten war, dass immer mehr Kinder mit zwei Köpfen
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