Colin Cotterill
war.
Hätten sie doch nur gewusst, wie negativ sein Leben ohne ihn verlaufen war.
Tränen rol ten ihm über die Wangen. Einige waren Tränen der Trauer. Es tat ihm schrecklich leid, dass sie mit ihrem Elend nicht auf andere Weise hatte fertig werden können; dass es ihm nicht gelungen war, sie vor dem Abgrund zu retten.
Andere wieder waren Tränen schier unbändiger Freude. Sie hatte ihn geliebt.
Auch am Ende hatte sie ihn noch geliebt und gewusst, dass er sie liebte.
Mehr brauchte er nicht zu wissen.
Er weinte anderthalb Stunden ohne Pause. Erst der Wind, der ihm ins Gesicht wehte, konnte die Tränen schließlich trocknen. Das Justizministerium hatte den Vergaser reparieren lassen, und er raste auf seinem geliebten Motorrad über die Straße nach Dong Dok, vorbei an den jungfräulichen Feldern, denen man nicht ansah, dass sie in unmittelbarer Nähe einer Großstadt lagen. Er brül te aus vol em Hals mit dem Motor um die Wette. Er war frei.
Als er umkehrte und in die Stadt zurückfuhr, war er mit sich und der Welt im Reinen. Es gab keine Zufäl e mehr in seinem Leben. Die Akte hatte ihn gefunden. Der Brief hatte ihn gefunden, hier und heute. Boua hatte ihm mitgeteilt, dass es gut war. Dass er kein schlechtes Gewissen zu haben brauchte, weil eine andere Frau sein Herz erobert hatte.
Kaum war er in die Samsenthai Road eingebogen, sah er Lah am Ende der Gasse stehen. Als sie Siri auf seinem klobigen alten Motorrad sitzen sah wie einen weißhaariger Ritter, machte sich auf ihrem Gesicht ein Lächeln breit, das hel er strahlte als die windschiefen Laternen am Straßenrand. Sie trug einen goldverzierten lila Phasin und dazu eine weiße Bluse, die ihre Brüste hervorragend zur Geltung brachte. Wer weiß, wie viele Stunden sie gebraucht hatte, um ihr Haar zu einer Imelda-Marcos-Frisur samt Lilie aufzutürmen. Sie war bildschön.
Er hielt vor ihr an der Bordsteinkante und lächelte zärtlich. Sie kam ihm auf ungewöhnlich hohen Absätzen entgegen und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. An ihrer linken Hand baumelte eine elegante, strassbesetzte Handtasche. In der Rechten hielt sie eine kleine Schachtel. Sie war in grünes Papier gewickelt, das zu seinen Augen passte, und mit einer dunkelgrünen Schleife verziert.
»Haben Sie etwa Sandwiches mitgebracht?«
»Das ist ein Geschenk.«
»Für mich? Darf ich es gleich aufmachen?«
»Das müssen Sie sogar. Sonst steige ich nicht auf Ihr Motorrad.«
Lächelnd öffnete er die Schleife und zerriss das Papier. Er musterte Lah, gespannt wie ein kleiner Junge bei einem Kindergeburtstag. Sie sah erst ihn an, dann die Schachtel. »Schnel . Ich habe Hunger.«
Kaum hatte er den Deckel geöffnet, verblasste sein Lächeln. In der Schachtel lag, wie ein verkohlter Leichnam in einem Sarg, das schwarze Prisma mit dem Lederriemen. Kein anderes, sondern dasselbe schwarze Prisma, das im Lauf der Jahre durch unzählige Hände gewandert war. Dasselbe, das Tante Suab in Khammouan zerschlagen und verstreut hatte.
»Da Sie in letzter Zeit so viel Pech hatten, dachte ich, Sie könnten einen Glücksbringer gebrauchen. Gefäl t er Ihnen?«
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