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Colin Cotterill

Titel: Colin Cotterill Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dr. Siri und seine Toten
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abgetrennten Beine ins Wasser fielen und versanken. Binnen weniger Stunden würden sie vermutlich aufschwemmen und wieder an die Oberfläche treiben. Dennoch standen die Chancen schlecht, dass der Mann zusammen mit seinen Beinen beerdigt werden würde: Er hatte verschiedenfarbige Plastiksandalen getragen.
    »Wenn Sie als Todesursache prinzipiel ausschließlich Herzversagen gelten lassen, weiß ich nicht, warum wir überhaupt einen Pathologen brauchen, Genosse.« Siri verlor al mählich die Geduld, obwohl er sich gewöhnlich nicht so schnel aus der Ruhe bringen ließ. In seinen zweiundsiebzig Lebensjahren hatte er so viel durchgemacht, dass er inzwischen über die Gelassenheit eines Astronauten verfügte, der ziel os durchs Al treibt. Obwohl er dem Buddhismus nur unwesentlich näher stand als dem Kommunismus, half ihm die Meditation, seinen Zorn im Zaum zu halten. Niemand hatte ihn je aus der Haut fahren sehen.
    Dr. Siri Paiboun wurde oft als Zwerg bezeichnet. Er hatte die seltsame Statur eines buckligen Leichtgewichtsringers. Beim Gehen schien es, als hätte seine untere Körperhälfte Mühe, mit der oberen Hälfte Schritt zu halten. Sein kurzgeschnittenes Haar war schneeweiß. Während viele Laoten seines Alters eines schönen Tages aufwachten und feststel ten, dass der Herr im Himmel ihrem Haar auf wundersame Weise das jugendliche Schwarz zurückgegeben hatte, wusste Siri mit seinem kärglichen Salär wahrhaftig Besseres anzufangen, als es für chinesisches Yu-Dum-Haarfärbemittel auf den Kopf zu hauen. Nichts an ihm war unecht, künstlich oder nachgemacht. Er war ganz er selbst.
    Sein Bartwuchs ließ zu wünschen übrig, dafür sprossen seine Brauen umso wilder. Inzwischen wucherten sie derart üppig, dass man seine sonderbaren Augen kaum erkennen konnte. Selbst Reisende, die zehnmal um die Erde gefahren waren, hatten solche Augen noch nie gesehen. Sie waren hel grün wie der Filz auf einem Snookertisch und amüsierten Siri immer wieder, wenn sie ihm aus dem Spiegel entgegenstarrten. Er wusste nicht viel über seine leiblichen Eltern, aber dass außerirdisches Blut in seinen Adern floss, hielt er für unwahrscheinlich. Wie er zu solchen Augen gekommen war, konnte er weder sich noch anderen erklären.
    Obwohl die »Entlastungsschulung« bereits vierzig Minuten dauerte, hatte Richter Haeng ihm noch kein einziges Mal in die Augen geblickt. Er hatte auf seinen zuckenden Bleistift gestarrt. Auf den lose baumelnden Manschettenknopf des Doktors. Er hatte angestrengt durch das zerbrochene Jalousiefenster gespäht, als funkelte der rote Stern am Abendhimmel über dem Justizministerium. Aber er hatte nicht ein einziges Mal in Siris leuchtend grüne Augen geschaut.
    »Selbstverständlich brauchen wir einen Pathologen, Genosse Siri, denn wie Sie wohl wissen, ist jedes sozialistische System al en Brüdern und Schwestern Rechenschaft schuldig. Das revolutionäre Bewusstsein gedeiht al ein im hel en Schein des sozialistischen Leuchtturms. Dennoch hat das Volk ein Recht darauf, die saubere Unterwäsche des Leuchtturmwärters auf den Felsen trocknen zu sehen.«
    Verdammt, eins musste man dem Knaben lassen: Er war ein wahrer Meister in der Kunst, zur richtigen Zeit genau die falsche Losung aus dem Hut zu zaubern. Wer sich im stil en Kämmerlein Gedanken über derlei Sprüche machte, kam schnel und unausweichlich zu dem Schluss, dass sie rein gar nichts zu bedeuten hatten. Siri betrachtete das blässliche Bürschchen und empfand einen Anflug von Mitleid.
    Haengs einziger Anspruch auf Respekt bestand in einem sowjetischen Juradiplom auf so dünnem Papier, dass man dadurch die Wand sehen konnte, an der es hing. Er hatte seine Ausbildung im Eilverfahren absolvieren müssen, um eine der zahlreichen Lücken zu schließen, die durch die überstürzte Flucht der Oberschicht entstanden waren. Er hatte in einer Sprache studiert, die er eigenüich nicht verstand, und ein Diplom erhalten, das er eigentlich nicht verdiente. Die Sowjets setzten seinen Namen auf die Liste der asiatischen Kommunisten, die im großen, ruhmreichen Mutterland des Sozialismus ihre Erziehung genossen hatten.
    Siri war der Ansicht, dass ein Richter im Laufe eines langen Lebens Schritt für Schritt zur Weisheit finden, gleichsam Jahresringe des Wissens ansetzen musste, und es nicht damit getan war, bei einem russischen Multiple-Choice-Test zufäl ig die korrekten Antworten getippt zu haben.
    »Kann ich jetzt gehen?« Siri stand auf und ging zur Tür, ohne die Erlaubnis

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