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Colorado Kid

Colorado Kid

Titel: Colorado Kid Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Schönheit. Es war nichts Falsches an dieser Idee, denn beide wussten, dass sie die anständigsten Absichten hatten. Sie wussten, dass Stephanie sehr viel Potenzial besaß und dass sie gerne lernte; bei solch wissbegierigen Schülern war man mit Freude Lehrer.
    »Also«, sagte Vince, als alle saßen. »Denk mal an die Geschichten, die wir Hanratty beim Mittagessen erzählt haben, Steffi: die Lisa Cabbot, die Lichter an der Küste, die wandernden Mormonen, das Kirchenpicknick von Tashmore, alles Rätsel, die nie gelöst wurden, und dann sag mir, was sie alle gemeinsam haben.«
    »Sie sind alle ungelöst.«
    »Streng dich ein bisschen mehr an, mein Mädchen«, sagte Dave. »Enttäusch mich nicht!«
    Sie warf ihm einen kurzen Blick zu und merkte, dass er es ernst meinte. Klar, die Antwort lag auf der Hand, wenn man bedachte, weshalb Hanratty sie überhaupt zum Essen eingeladen hatte: wegen der achtteiligen Serie des Globe (eventuell sogar zehnteilig, hatte Hanratty erklärt, wenn er genügend sonderbare Geschichten fände), die aller Voraussicht nach zwischen September und Halloween erscheinen sollte. »Sie wurden alle schon zigmal durchgekaut?«
    »Schon ein bisschen besser«, meinte Vince, »aber das ist auch nichts Neues. Frag dich doch mal dies, Kleine: Warum wurden sie alle schon zigmal durchgekaut? Warum zerrt mindestens einmal im Jahr eine Zeitung aus Neuengland die Lichter an der Küste hervor und druckt dazu ein paar verschwommene Fotos, die mindestens fünfzig Jahre alt sind? Warum interviewen regionale Zeitschriften wie Yankee oder Coast mindestens einmal pro Jahr Clayton Riggs oder Ella Ferguson, als ob sie auf einmal wie der Springteufel aus der Schachtel hüpfen und etwas völlig Neues verraten würden?«
    »Die Namen habe ich noch nie gehört«, sagte Stephanie.
    Vince schlug sich auf den Hinterkopf. »Ah jo, ich Dummkopf. Ich vergesse ständig, dass du nicht von hier bist.«
    »Soll ich das als Kompliment verstehen?«
    »Könntest du, solltest du sogar. Clayton Riggs und Ella Ferguson waren die Einzigen, die damals beim Picknick am Tashmore Lake den Eiskaffee getrunken haben und nicht daran gestorben sind. Der Ferguson geht’s ganz gut, aber Riggs’ linke Körperhälfte ist gelähmt.«
    »Wie schrecklich! Und trotzdem werden sie immer wieder befragt?«
    »Ah jo. Fünfzehn Jahre sind ins Land gegangen, und wahrscheinlich weiß jeder, der noch einen Funken Verstand im Kopf hat, dass niemals jemand für dieses Verbrechen belangt werden wird – acht Menschen am Seeufer wurden vergiftet, sechs davon starben –, dennoch tauchen Ferguson und Riggs immer wieder in der Presse auf, jedes Jahr klappriger: ›Was geschah an jenem Tag?‹ oder ›Der Schrecken am See‹ und so weiter … du weißt, was ich meine. Es ist einfach eine Geschichte, die die Leute gerne hören, so wie ›Rotkäppchen‹ oder ›Die drei kleinen Schweinchen‹. Die Frage ist bloß: warum?«
    Stephanie war schon ein Stück weiter. »Ihr habt da was, oder?«, fragte sie. »Eine Geschichte, die ihr ihm nicht erzählt habt. Stimmt’s?«
    Wieder tauschten die Männer einen Blick aus, doch diesmal konnte Stephanie nicht einmal ansatzweise enträtseln, welchen Gedanken die beiden hatten. Sie saßen in identischen Gartenstühlen. Stephanies Hände ruhten auf den Armlehnen. Dave beugte sich vor und tätschelte ihre Hand. »Wir werden’s dir erzählen, nicht wahr, Vince?«
    »Doch, denke schon«, sagte Vince und lächelte in die Sonne. Erneut legte sich seine Haut in unzählige Falten.
    »Aber wer mit der Fähre fahren will, muss dem Steuermann Tee mitbringen – Tea for the Tillerman. Kennst du das Lied?«
    »Ich glaube schon.« Stephanie kam eine alte Schallplatte ihrer Mutter in den Sinn, oben auf dem Dachboden.
    »Gut«, sagte Dave, »dann beantworte mir eine Frage: Hanratty wollte die Geschichten nicht, weil sie schon zigmal durchgekaut wurden. Warum?«

    Sie dachte nach, die beiden Männer ließen ihr Zeit. Es machte ihnen Freude, der jungen Frau beim Grübeln zuzusehen.
    »Also«, sagte Stephanie schließlich, »wahrscheinlich hören die Leute gerne Geschichten, bei denen man sich an einem Winterabend ein bisschen gruseln kann, besonders wenn die Lampen leuchten und der Kamin gemütlich knistert. Geschichten über das Unbekannte halt.«
    »Wie viel Unbekanntes pro Geschichte, mein Mädchen?«, fragte Vince Teague. Seine Stimme war sanft, aber seine Augen durchbohrten Stephanie.
    In Gedanken beim Kirchenpicknick wollte sie gerade sagen:

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