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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Jungen ist sein Schloß
    Die einzige weitere Feste der Privatheit, die einem Jungen in Uppingham gestattet war, war die sogenannte tish , eine Schlafnische, in der sich ein Bett, ein winziger Schreibtisch und die Privatgegenstände befanden, die sich im Schreibtisch oder unter dem Bett oder auch vice versa unterbringen ließen. Zog man den Vorhang zu, konnte man auch die tish in ein Schloß verwandeln. Man könnte annehmen, tish sei keine Ableitung des deutschen Wortes Tisch, sondern vielmehr eine Kurzform von »partition«, also Scheidewand, aber englischen Slangausdrücken mit Logik zu Leibe zu rücken ist selten erfolgversprechend. Dennoch läßt sich mit einiger Sicherheit behaupten, »ekker«, das in Uppingham gebräuchliche Wort für Feldspiele, sei von »exercise« abgeleitet. »Wagger« oder »wagger-pagger-bagger«, womit ein Abfalleimer gemeint war, ist ein Beispiel für das bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren seltsame Blüten treibende Argot, das dem Prinzen von Wales den Titel eines Pragger-Wagger einbrachte. Selbst in der ausgelassenen Welt der anglikanischen Hochkirche, an einem so neckischen Hort des Frohsinns wie St. Mary’s, Bourne Street, SW3, habe ich erst kürzlich mit meinen eigenen zwei Ohren vernommen, wie die heilige Kommunion von kecken, vorwitzigen Priestern als »haggers-commaggers« bezeichnet wurde, genau wie meine Mutter bis heute für alles Ungemach von Zahnschmerzen bis zum quälenden Verkehrsstau den Ausdruck »aggers and torters« benutzt.
    Schließlich sei hier noch der Spitzname für die Präfekten erwähnt, die in Uppingham, wie auch an einigen anderen Public Schools, als »Praepostoren« bezeichnet wurden, ein Ausdruck, der laut Auskunft des Oxford English Dictionary eine »kontrahierte Form von Praepositor« darstellt. Anschließend führt das OED ein Beispiel für die Verwendungsweise des Wortes an:
    1887 Athenaeum 29. Okt. 569/3 Er [Rev. E. Thring] legte großen Wert auf die Selbstorganisation der Schüler und übertrug den Praepostoren wichtige Aufgaben.
    Gut zu wissen, daß jener Thring mit dem enormen Backen- oder Kaiserbart (meine Mutter sagt immer nur Schurkenschwengel) ein Meister der modernen Delegationskunst war.
    Dreiundachtzig Jahre nach dem Athenaeum -Artikel waren den Praepostoren, die von allen nur Pollies genannt wurden, nach wie vor wichtige Aufgaben übertragen. Es gab die Haus-Pollies, die nur in ihrem Haus Befehle erteilen durften, und Schul-Pollies, die überall Befehlsgewalt hatten. Ein Schul-Polly durfte einen Schirm und eine Kreissäge tragen. Mit der feigen Gehässigkeit, die typisch für Mittelstands-Revoluzzer ist, wurden die Pollies hinter ihrem Rücken als »Schweine« beschimpft: »Der ist doch bloß ein Haus-Schwein und kann dir gar nichts befehlen«, oder: »Hast du gehört, Barrington ist zum Schul-Schwein aufgestiegen. Pah!« Bemerkungen dieser Art wurden gewöhnlich im abfälligen Ton der Worker’s Revolutionary Party gemacht, den Schüler einer Public School so ausgezeichnet nachmachen können, auch wenn er bei ihren banalen Schulproblemen gänzlich fehl am Platze ist.
    Aber wessen Sorgen sind schon je unbedeutend? Ich bin mir vollkommen bewußt, daß meine Sorgen ganz gewiß unbedeutend waren. Die Geschichte eines empfindsamen jungen Knaben, der sich tapfer in der rauhen Welt einer Public School zu behaupten versucht, ist wenig geeignet, in der Brust fremder Leser Mitleid zu wecken. Das Thema ist zu Beginn dieses Jahrhunderts bis zum Exzeß in Romanen, Erinnerungen und Autobiografien ausgebreitet worden. Ich bin ein Klischee, und ich weiß das. Ich wurde nicht von Sklavenhändlern verschleppt, mußte nicht als Dreijähriger in Rio auf der Straße Schuhe putzen und wurde auch nicht von einem sadistischen Schornsteinfeger in die Kamine geschickt. Ich bin weder in bitterster Armut noch im üppigen Luxus aufgewachsen. Ich wurde nicht mißbraucht, vernachlässigt oder ausgebeutet. Als Mittelkläßler an einer Mittelklasse-Schule in Mittelengland, wohlgenährt, wohlerzogen undwohlbehütet, habe ich nichts, worüber ich mich beklagen könnte, was meine Geschichte, neben vielem anderen, vor allem zu einer Geschichte des Glücks macht. Aber es ist meine Geschichte und damit soviel oder sowenig wert wie die eines jeden anderen. Sie ist, zumindest in meinen Augen, eine Art pathetische Liebesgeschichte. Ich würde zwar lieber die Ausdrücke pathetique oder gar appassionata vorziehen, aber pathetisch tut’s auch, in der ganzen Bedeutung des

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