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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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daß ich, wann immer ich an Holmes dachte oder seine Stimme hörte, tatsächlich die Stimme und das Bild meines Vaters im Kopf hatte. Watsons Beschreibungen dieser auf Hochtouren laufenden, eiskalten und messerscharfen Geistesmaschine, angetrieben durch eine ganzund gar egozentrische Leidenschaft und Begeisterung, entsprachen genau meiner Vorstellung meines Vaters. Genau wie Holmes vergaß mein Vater jeden Gedanken an Essen, materielle Annehmlichkeiten und die Gesellschaft, wenn der Arbeitsrausch ihn gepackt hatte. Wie Holmes besaß er großes musikalisches Talent; wie Holmes konnte er unglaublich schroff zu ihm nahestehenden Personen sein und die Herzlichkeit in Person gegenüber wildfremden Menschen; wie Holmes liebte er das Pikante und das Lösen von Rätseln um ihrer selbst willen, gänzlich unbekümmert um materiellen Gewinn oder Ruhm; wie Holmes verknüpfte er traumwandlerische Abstraktion mit eiskalter Logik und der unbeugsamen Kraft zu genauester Nachforschung; wie Holmes war er sehr groß, dürr und stark. Verdammich, mein Vater rauchte sogar Pfeife – jahrelang war er praktisch ständig von einer dichten Rauchwolke eingenebelt.
    Anders als Holmes aber ging mein Vater nie aus; anders als Holmes löste mein Vater nie die Lebensrätsel anderer; anders als Holmes gelangte mein Vater nie zu allgemeiner Berühmtheit oder gewann die Anerkennung von Päpsten, Prinzen und Premierministern. Anders als Holmes war mein Vater ein Mensch aus Fleisch und Blut. Er war eben mein Vater.
    Ich bin nur wenigen anderen Männern begegnet, die die praktischen Dinge des Lebens mit der gleichen Dickschädeligkeit verschmäht hätten. Ich selbst war immer schon ein nimmersatter Mensch mit einer großen Leidenschaft für materiellen Komfort und die Insignien des Erfolgs. Es frustrierte mich, wie jemand, der ohne weiteres ein großes Vermögen hätte machen können, ob nun durch die Entwicklung von Top-End-Hi-Fi-Verstärkern, Computer-Software, einträglichem Firlefanz oder Industrieanlagen, sich so hartnäkkig weigern konnte, aus seinen Talenten Geld zu machen. Natürlich bewundere ich diese Verweigerungshaltung und bin stolz auf sie: Hausierertum, Aufschneiderei und laute Eigenreklame sind alles andere als einnehmend, aber auch inübertriebener Bescheidenheit steckt ein gewisser Egoismus, und ich glaubte in ihm eine Menschenverachtung und Arroganz zu entdecken, die mich fast wahnsinnig machte, zum Teil gewiß deswegen, weil sie das krasse Gegenteil meiner persönlichen Anbetung von Erfolg, Ruhm, Geld und Ansehen war.
    Für die Empörung über meinen Vater mußte meine Mutter als Entschuldigung herhalten. Ich fühlte, sie hätte ein besseres Schicksal verdient, als ihre ganze Existenz den Ansprüchen und Forderungen eines absichtlich weltfremden Mannes unterzuordnen. In meinen Augen standen ihr Urlaubsreisen im Sommer, ein warmes Haus im Winter, das Recht, häufiger Einladungen anzunehmen, und die Möglichkeit zu Einkaufsausflügen nach London zu. Zweifellos war auch Eifersucht mit im Spiel, und zwar darüber, daß sie ihn so rückhaltlos verehrte und ihre ganze Energie darauf verwendete, ihm das Leben so angenehm wie möglich zu machen.
    Ich kann mich nicht erinnern, daß meine Eltern jemals miteinander gestritten hätten. Nur ein einziges Mal wurde ich Zeuge, wie sie sich gegenseitig anbrüllten, und dabei blieb mir vor Angst fast das Herz stehen.
    Es war spätabends, und ich lag seit etwa einer Stunde im Bett, als ich durch drei Dielenböden hindurch die laute Stimme meines Vaters und das Weinen meiner Mutter hörte. Ängstlich tippelte ich ins Zimmer meines Bruders und rüttelte ihn wach.
    »Hör nur!« flüsterte ich.
    Wir starrten uns ängstlich und ratlos an. So etwas hatte es noch nie gegeben. Es war schlichtweg undenkbar. Unsere Eltern stritten sich nie und brüllten sich schon gar nicht an. Uns, ja. Hin und wieder. Aber nie gegenseitig. Nie und nimmer.
    Wir schlichen die Hintertreppe hinunter und lauschten zitternd zehn Minuten lang dem Lärm, der aus dem Arbeitszimmermeines Vaters kam. Er tobte geradezu, während meine Mutter unerträglich kreischte und schrie. Wir konnten nichts weiter tun, als zitternd und ungläubig dazustehen. Schließlich huschten wir wieder nach oben, beratschlagten noch eine Weile, was das nur bedeuten könnte, bevor jeder sich auf sein Zimmer verzog und zu schlafen versuchte.
    Am nächsten Morgen kam ich ängstlich in die Küche geschlichen, halb darauf gefaßt, meine Mutter weinend über dem

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