Columbus war ein Englaender
Neumann, den er in England in Newman umwandelte. Sein Vater, also mein Urgroßvater, selbstredend ebenfalls ungarischer Jude, hatte eine Zeitlang in Wien gelebt und war allgemeinem Bekunden nach ein Mann von jenem Schrot und Korn, der einem noch den eigenen Mantel abtrat. Man kann sich vorstellen, wie es mir eiskalt den Rücken hinablief, als ich bei den Recherchen über Hitlers Jugendjahre für meinen letzten Roman Geschichte machen in Alan Bullocks Hitler: Eine Studie über Tyrannei auf folgende Stelle stieß:
Nach ihrem Zerwürfnis verlor Hanisch Hitler aus den Augen, doch es gibt von ihm eine Beschreibung Hitlers, wie er ihn 1910 im Alter von einundzwanzig Jahren kennengelernt hatte. Er trugeinen abgewetzten schwarzen Mantel, den er von einem Altkleiderhändler in seiner Pension, einem ungarischen Juden namens Neumann, bekommen hatte und der ihm bis zu den Knien reichte ... Neumann ... der sich mit ihm angefreundet hatte, fühlte sich durch seinen glühenden Antisemitismus abgestoßen.
Ich nehme an, es gab 1910 viele ungarische Juden in Wien, und ich gehe auch davon aus, viele trugen den Namen Neumann, aber dennoch läßt mich die Frage nicht los, ob es tatsächlich sein könnte, daß der eigene Urgroßvater sich mit einem Mann angefreundet und ihn warm gehalten hat, der später einen Großteil seiner Familie und weitere sechs Millionen Angehörige seines Volkes umbringen sollte.
Die Hochzeit meiner Eltern fand im geheimen statt: Aus irgendeinem seltsamen Grund hätte meine Mutter ihr Stipendium verloren, wenn bekanntgeworden wäre, daß sie als Studentin geheiratet hatte. Heute, nach zweiundvierzig Ehejahren, rührt es immer noch mein Herz, wenn ich dieses außergewöhnliche Paar im Nebenzimmer plaudern höre, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt.
Unser Haus hat sich bis heute kaum verändert. Das Wasserpumpen ist einfacher geworden, aber die Küche hat nach wie vor einen einzigen tiefen Wasserhahn – aller Abwasch geht raus in die Spülküche. Der Rost der Aga-Brenner muß jeden Abend gerüttelt werden, um die Asche abzuklopfen, und es gibt immer noch keine Zentralheizung. Besucher sind beeindruckt von der weltentrückten Würde des Hauses und zeigen bisweilen gar unverhohlen ihren Neid über mein Glück, an einem solchen Ort groß geworden zu sein.
Auch wenn ich lange Zeit sicher war, das Leben dort gehaßt zu haben, habe ich in all den Jahren der Rebellion, der Verbannung und des Zorns stets eine Fotografie des Hauses mit mir herumgetragen: Ich habe sie immer noch, angestoßen und zerknittert, aber sie ist der einzig existierende Abzug einer Luftaufnahme, die genau in der Zeit zwischenmeinem Wechsel von der Prep School zur Public School entstanden sein muß. Vielleicht hatte ich gerade in Uppingham angefangen, vielleicht wurde sie auch kurz vor meinem Ausscheiden in Stouts Hill geschossen, jedenfalls sind mein Bruder und ich nirgendwo zu entdecken, sofern wir uns nicht gerade auf dem Badminton-Rasen herumtrieben, der auf der Aufnahme nicht zu sehen ist. Ich hätte dieses Bild niemals so viele Jahre verwahrt, wenn mir das Haus nichts bedeutet hätte, und ich müßte auch jetzt bei seinem Anblick keine Tränen hinunterschlucken, wenn die heraufbeschworenen Erinnerungen kalt und leblos und unfähig wären, mich im Innersten anzurühren.
Es war das Haus meiner Kindheit.
Es enthält das Zimmer meines Bruders mit der abblätternden William-Morris-Tapete; es enthält das Zimmer, in dem ich die meisten Jahre meines Lebens verbrachte, in den schlaflosen Nächten der Adoleszenz Stunde um Stunde wach lag, aus dem Fenster in die Nachtluft pinkelte und dem Geißblatt unten den Garaus machte, weil ich zu faul, liederlich und verkommen war, runter auf die Toilette zu gehen; es enthält das Zimmer meiner Schwester, an dessen Wänden immer noch die Poster des Cricketstars Derek Randall hängen. Es enthält das Arbeitszimmer, auf dessen Teppich ich unzählige Male stand und meinem Vater einen weiteren Schultadel, ein weiteres Desaster, eine weitere Amtsbeleidigung oder sonst eine weitere Schandtat beichten mußte, während meine Mutter, ihr Taschentuch vor den Mund gepreßt, voller Schmerz und Gram aus dem Zimmer stürzte. Es wird noch heute von den gleichen Gegenständen und den gleichen Erinnerungen bewohnt und auch von den gleichen Eltern, aus deren Fleisch und Blut ich bin und die ich über alles verehre. Es ist mein Zuhause.
Die erste Regel in der Schulordnung von Uppingham lautet:
Das Zimmer eines
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