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Columbus war ein Englaender

Columbus war ein Englaender

Titel: Columbus war ein Englaender Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Küchentisch zu sehen.
    »Morgen, mein Schatz!« sagte sie gutgelaunt und grinste wie gewohnt wie ein Laubfrosch, dem man die Zehen kitzelt.
    Ich wartete, bis Mrs. Riseborough gegangen war, bevor ich zaghaft fragte, ob alles in Ordnung sei.
    »Alles in Ordnung? Wie meinst du das?«
    »Na ja, letzte Nacht. Roger und ich ... wir haben zufällig gelauscht.«
    »Gelauscht?« Sie schien tatsächlich überrascht.
    »Nun, du hast geweint, und Daddy hat gebrüllt.«
    »Geweint ...?« Einen Moment war sie völlig perplex, doch dann strahlte ihr Gesicht, und sie mußte lachen.
    » Geweint ? Ich habe gelacht !«
    »Du hast was?«
    »Na ja, es war einfach zu komisch ...«
    Wie sich herausstellte, hatte mein Vater in der vergangenen Nacht in seinem Büro nach einer Mappe auf seinem Schreibtisch gesucht, die er unbedingt brauchte.
    »Verdammter Mist, da legt man etwas für einen Augenblick aus der Hand, und schon ist es verschwunden. Das gibt’s doch gar nicht.«
    Meine Mutter konnte vom Sofa aus sehen, daß er auf seiner Mappe saß, ohne es zu ahnen, und zehn Minuten lang Papiere durch die Luft wirbelte, Schubladen aufriß und sich über die Unauffindbarkeit des Dings immer mehr in einen rasenden Basil Fawlty verwandelte, während meine Mutter von immer größeren Lachanfällen geschüttelt wurde.
    Das also hatten wir gehört.
    Ich weiß, nicht gerade die umwerfendste Geschichte der Welt, aber der eigentliche Punkt liegt in der extremen Seltenheit (wie ich heute weiß) eines verheirateten Paares, das sich nie gegenseitig angebrüllt oder über irgend etwas gestritten hat – zumindest nicht in Hörweite seiner Kinder. Sie begegnen einander mit unbedingter Hingabe, Achtung und Vertrauen. Ich bin mir sicher, daß ihnen gegenseitige Enttäuschungen nicht erspart geblieben sind, was nur natürlich ist, und ich weiß, daß meine Mutter viele Jahre unter meinem gestörten Verhältnis zu meinem Vater litt. Sie mußte mein trotzig pubertäres: »Ich hasse Vater. Oh, wie ich ihn hasse « genauso erdulden wie sich von ihm anhören, wie eingebildet, faul und gänzlich unfähig zu gedanklicher und körperlicher Anstrengung ich sei.
    Als ich zum ersten Mal Zeuge wurde, wie die Eltern anderer Kinder sich gegenseitig anbrüllten, wäre ich vor Scham am liebsten im Boden versunken. Ich konnte einfach nicht glauben, daß es so etwas geben konnte, und wenn doch, daß man es durchgehen lassen durfte. Bis heute ist mir jede Art von öffentlicher Auseinandersetzung, Anbrüllen oder gegenseitigem Abkanzeln unerträglich.
    Es mag durchaus so sein, daß die Nähe, gegenseitige Abhängigkeit und unbedingte Zuneigung, die der eine für den anderen empfindet, mit zu meiner über viele Jahre bestehenden unterschwelligen Furcht beigetragen haben, eine feste Beziehung einzugehen. Mir erschien es einfach unmöglich, je einen Menschen zu finden und mit ihm ein partnerschaftliches Verhältnis aufzubauen, das sich an dem meiner Eltern messen konnte.
    Bei ihnen war es Liebe auf den ersten Blick gewesen, und sie wußten sofort, daß sie heiraten würden. Beide studierten damals an der London University, meine Mutter Geschichte am Westfield College, mein Vater Physik am Imperial, wo er auch den Musikclub leitete. Mein Vater war von der jüdischenHerkunft meiner Mutter eingenommen. Deren Vater wiederum bewunderte den brillanten jungen Mann und war, glaube ich, besonders davon angetan, daß mein Vater Deutsch sprach, das er nur deshalb gelernt hatte, um Aufsätze und Arbeiten über Physik zu lesen, die vielfach in dieser Sprache erschienen. Mein Großvater war seinerseits ein wahres Sprachgenie und sprach Ungarisch, Deutsch, Jiddisch, Tschechisch, Slowakisch, Rumänisch und Englisch. Ich besitze ein Foto von ihm, auf dem er als junger Mann in der prächtigen Offiziersuniform der österreichisch-ungarischen Reiterarmee zu sehen ist, das aufgenommen wurde, kurz bevor er bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegen serbische Kanonen zog. In den dreißiger Jahren kam er nach England, um britische Bauern im Anbau von Zuckerrüben zu unterweisen, so daß meine Mutter, das jüngste von drei Mädchen, in London geboren und in Bury St. Edmunds und Salisbury aufgewachsen, bereits in jungen Jahren das Malvern Girl’s College besuchte und mit voller Absicht zu einem kleinen englischen Mädchen erzogen wurde – schließlich konnten die Nazis jeden Tag in Britannien einmarschieren, und mein Großvater wußte einiges davon, was Nazis mit Juden anstellten. Sein eigentlicher Name war

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