Commissaire-Llob 1 - Morituri
hundert Metern befehl ich ihm, den Rückwärtsgang einzulegen. Auch da stellt er keine Fragen, tut es einfach. Wie ein Großer.
Ich läute erneut bei Haj Garne und lasse ihm keine Zeit zu sehen, wer da ist. Kaum daß er sein Gesicht zeigt, befördere ich meine Rechte dorthin, wo ihn sonst seine Liebhaber verwöhnen. Mit offenem Mund, die Arme gekreuzt, sackt er im Vorzimmer zusammen. Wie ein heruntergerissener Wandbehang.
Zufrieden rücke ich meinen Mantel zurecht, massiere meine Faust und gehe zu Lino zurück, der mich schon auf dem Altar des Frevels gekreuzigt sieht.
7
Als der Chef mich eintreten sieht, legt er die Füße auf den Tisch. In der üblichen Körpersprache, die bedeutet, daß ich nicht mehr wert bin als ein Stück Ziegendreck im offenen Gelände.
Nach einer vielsagenden Stille trompetet er los: »Wann wirst du endlich klüger, Llob? Um Himmels willen! Wann lernst du endlich, daß man den Nachbarn nicht beißt, kaum daß man von der Leine ist? Wir sind hier nicht im Wilden Westen …«
Ich bleibe stumm. Gemäß Artikel 13 und 69 der Verordnung zur Inneren Sicherheit, die da besagen: Wenn ein Chef dir den Kopf wäscht, unwürdiger Untergebener, hältst du den Mund, damit du keinen Schaum schluckst und dir eine Kolik holst.
»Man kann dich wirklich nicht allein lassen. Nicht einmal eine Stunde hat man seine Ruhe mit dir. Kaum drehe ich dir den Rücken zu, tust du alles, um die Stadt auf den Kopf zu stellen.«
»Die Geschichte mit der Leine, Herr Direktor, die habe ich nicht ganz verstanden.«
»Wie konntest du es wagen, die Hand gegen den ehrenwerten Haj Garne zu erheben?«
»Ich habe nur versucht, mich zu schneuzen, Herr Direktor. Wenn ich verschnupft bin, bin ich entsetzlich ungeschickt.«
Anscheinend bin ich doch ein wenig zu weit gegangen, denn der Direx bäumt sich auf und haut mit der Faust auf den Tisch. Da es aber doch noch eine Gerechtigkeit gibt auf der Welt, verfehlt er die Schreibtischunterlage, und sein Porzellanfäustchen kracht auf den Aschenbecher.
Ich verharre stocksteif, das Kinn im rechten Winkel, während er sich seine wunden Finger leckt.
Mit nachlassendem Schmerz findet der Direktor langsam, aber sicher seine Gesichtsfarbe wieder. Er dröhnt:
»Er wird dich verklagen. Und ich werde nichts unternehmen, ihn davon abzubringen. Ich werde auch nicht die Hand über dich halten. Ich möchte einmal sehen, wie dir der Himmel auf den Kopf fällt, Llob. Seit Ewigkeiten schon suchst du deinen Meister, jetzt hast du ihn endlich gefunden …«
Seine näselnde Stimme ermüdet mich. Einer, der durch die Nase spricht, kann einen Hitzkopf nur schwer einschüchtern.
Ich ertrage geduldig mein Schicksal. Aber wie sehr ich auch versuche, mich auf ein Spatzenpaar auf der Stromleitung im Hof zu konzentrieren, meine Gedanken schaffen es nicht, mit ihnen davonzufliegen.
Der Direktor gelangt ans Ende seiner Strafpredigt. Tupft sich mit einem Seidentüchlein trocken. Nach einem kurzen Schnaufer schlägt vor:
»Du ruftst ihn jetzt an und entschuldigst dich.«
»Mitnichten.«
»Ich hab mich wohl verhört.«
»Mitnichten …«
»Ist das eine Meuterei?«
»Wenn Sie das so sehen.«
»Du rufst ihn sofort an, oder ich reiße dir die Ohren aus.«
Und wenn schon! Verächtlich mustere ich den Koloß auf seinen tönernen Füßen, hole tief Luft und lege los:
»Ich spucke auf dich und deine Vorfahren, du Schleimscheißer! Ich habe dich gekannt, als du noch in einer Bruchbude gehaust hast, am Platz des Ersten Mai, und jedem Müllwagen nachgejagt bist. Ich erinnere mich noch an deine zerrissene Kutte und deine lumpige Jacke. Jetzt bist du ganz oben, und das steigt dir zu Kopf. Paß nur auf, daß dir nicht schwindlig wird.«
»Ich erlaube dir nicht, mich zu duzen. Ich bin der Direktor …«
»Ich habe nie ein Votum für dich abgegeben. Ginge es nach mir, dein Verschwinden wäre keine Verlustmeldung wert. Du bist ein Nichts, ein Rauschen im Wind, eine Null mit Zuckerguß, ein Häufchen Hundedreck, ein falscher Fünfziger, fett und undankbar … Was deinen Schützling betrifft, sag ihm, einen Polizisten respektiert man, selbst wenn er halb verhungert ist.«
Ich lasse ihn sitzen in seinem Schlamm, den ich gehörig aufgewühlt habe, und verlasse türschlagend den Raum.
Auf dem Gang gratuliert mir die Belegschaft durch Handzeichen und Augenzwinkern. Alle haben mitgehört und konnten es kaum glauben.
Nachdem das Unwetter vorüber ist, taucht auch Lino wieder auf. Er schwebt wie auf Wolken. Er
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