Commissaire-Llob 1 - Morituri
schlägt mir erneut in die Magengrube.
Ich weiß nicht mehr, wer mich nach Hause gebracht hat. Ich weiß nur noch, daß ich meinen Zastava nicht mehr starten konnte. Das Bild der zerfetzten Körper, der Anblick des Kindes mit den verrenkten Gliedmaßen im Staub hinderten mich daran, klar zu denken.
Ich habe eine Menge Toter während meiner verdammten Polizistenlaufbahn gesehen. Man stumpft mit der Zeit ab. Aber ein totes Kind, das ist was anderes. Darüber werde ich nie hinwegkommen.
Mina war so lieb, mir keine Fragen zu stellen. Sie hat gelernt, mich im Unglück allein zu lassen.
Meine Kinder sind im Wohnzimmer. Sie vermeiden es, sich an den Tisch zu setzen und ein Gespräch mit mir anzufangen. Sie kennen meine Gefühlsschwankungen nur zu gut und verübeln es mir, daß ich ihnen ihre seltenen Momente der Ruhe verderbe. Meine Tochter wird nervös, sobald ich auftauche. Wenn ich mich nur räuspere, duckt sie sich schon.
Es gibt für mich nichts Schlimmeres als zu sehen, wie meine Kinder hochfahren, wenn ich nur versuche, sie um ein Glas Wasser zu bitten.
Verdammter Krieg.
Ich schiebe den Teller weg, verschwinde ins Schlafzimmer. Mina kommt mir nach. Ihre Augen sind erschütternd vorwurfsvoll. Sie stellt sich hinter mich und massiert mir den Nacken. Wenn sie sich sonst auf diese Weise meiner annimmt, ist Mina die reinste Therapie für mich. Doch an diesem Abend ist jede ihrer Berührungen schmerzhaft wie ein Stich.
Ich drehe mich zum Fenster. Die Nacht gießt Gift und Galle über die Stadt. Und schon löst in der Ferne die erste Salve den Wahnsinn aus.
6
Seit zwei geschlagenen Stunden scheuere ich mir die Ellenbogen auf der schmierigen Theke eines Cafés Ecke Rue des Revolutions wund.
Ich throne auf einem Barhocker und halte mit den Händen eine Tasse Tee warm, die längst abgekühlt ist. Meine Uhr zeigt halb neun, und von Mourad Atti noch immer keine Spur.
Lino hockt mit eingezogenem Kopf und abgenutztem Overall in einem Winkel und versucht, wie ein Maurer auszusehen, der seinen Feierabend genießt. Er sitzt wie auf Kohlen. Das Viertel hat nicht gerade den Ruf, zimperlich mit Polizisten umzugehen.
Der Wirt ist ein verkrüppeltes Männchen. Einen Gast zu bedienen, braucht er länger als ein algerischer Zöllner für die Abfertigung eines Reisenden. Man könnte ihn für sanftmütig halten, wenn er nicht dieses widerliche Stachelschwein im Gesicht hätte: einen subversiven Bart, in dessen Nähe es gefährlich werden kann.
Um mich herum unterhält sich eine Gruppe nasebohrender Greise. Etwas weiter weg wetzen ein paar Jugendliche ihre Blicke an der tristen Umgebung. Mit heruntergezogenen Augenbrauen und aggressiv vorgeschobenen Lippen ertragen sie ihre Verbannung wie eine Risikoschwangerschaft.
Neun Uhr!
Ich gehe Mina anrufen, um sie zu beruhigen. Als ich zurückkomme, sitzt ein anderer bequem auf meinem Platz und hat seine Flossen bereits um meine Tasse gelegt.
»He!« sagt er spöttisch, »wer einmal fort zur Jagd gegangen, von dem hab ich den Platz gefangen.«
»Ja, schon! Doch kommt er dann zurück zum Ort, jagt er den Hund gleich wieder fort.«
Anerkennend macht der Mann ein Daumenzeichen, daß der Punkt an mich geht und entfernt seinen dicken Hintern von meinem Barhocker.
Dem Wirt gefällt das gar nicht. Mürrisch poliert er vor meiner Nase die Theke und konfisziert dabei gleich mein Getränk.
Lino zeigt auf seine Uhr, um mich daran zu erinnern, daß die nächtliche Ausgangssperre noch immer in Kraft ist. Ich deute ihm, die Sache zu vergessen.
Da taucht Mourad Atti doch noch auf, mit einer Tasche unter dem Arm. Er grüßt einen Zigarettenverkäufer, der sich die Stufen des Cafés ausgesucht hat, um seine armselige Ware auszubreiten, dann mustert er die Umgebung, sein Blick bleibt an mir hängen, dann an Lino, er findet unsere Mienen wohl verdächtig. Es bleibt ihm keine Zeit, sich zu verdrücken. Serdj schnappt ihn sich sofort.
»Ganz ruhig«, flüstert er ihm zu.
Mourad versucht zu entwischen. Ich halte ihm meine Pistole unter die Nase. Im Handumdrehen befördern wir ihn auf den Rücksitz unseres Dienst-Peugeot und machen uns mit quietschenden Reifen aus dem Staub.
Der Art nach zu schließen, wie die einfachen Leute unseren Auftritt beobachtet haben, halte ich es für ratsam, nie wieder einen Fuß in dieses Viertel zu setzen.
Haj Garne braucht kein Wahrheitsserum, um sich zu verraten. Er ist die Falschheit in Person. Sein Grinsen, seine Lachanfälle, sein schleimiges
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