Commissaire-Llob 1 - Morituri
versenkt den Wurmfortsatz, den er als Nase ausgibt, in ein Taschentuch und posaunt so laut drauflos, daß selbst Baya im Nebenzimmer hochfährt.
»Man sagt, daß du dem Direx das Maul gestopft hast! Stimmt es, daß du ihn ein Häufchen Hundedreck genannt hast?«
»Ja und?«
»Verdammt!« Er ist vor Entzücken außer sich. »Wo nimmst du nur deine verfluchten Schimpfwörter her, Kommy?«
»Aus dem Scheißhaus.«
Ich bin zu Da Achour gefahren. Wenn ich nicht gut drauf bin, gehe ich immer zu ihm. Seine innere Ruhe glättet meine Wogen. Da Achour ist ein Seher, vielleicht sogar ein Prophet. Er betrachtet die Welt so wie man jemanden ansieht, den man gut kennt. Er weiß immer, woher der Wind weht, wohin der Sturm zieht, und vor allem weiß er, daß man nichts dagegen unternehmen kann.
Er wohnt am Ende eines Geisterdorfes östlich von Algier. Ein Kaff, in eine Biegung der Küste geduckt und so abweisend, daß es sogar die Terroristen in Ruhe lassen.
Früher einmal war es ein hübsches Dorf, das die wohlhabenden Siedler aus der Mitidja-Ebene anzog. Es wimmelte von farbenfrohen Sonnenschirmen, die Eisverkäufer boten Zitronenlimonade in turmhohen Gläsern an, das städtische Orchester spielte auf dem Hauptplatz Tino-Rossi-Melodien, und die jungen Mädchen ließen kichernd die Neckereien der Gecken aus der Stadt über sich ergehen.
Dann kam der Krieg und die Geranien verschwanden. Nichts ist geblieben von diesem Hafen der Lebensfreude als ein Haufen schmuddliger Häuser, eine Hauptstraße voller Schlaglöcher und das Gefühl völliger Nutzlosigkeit.
Einige wenige Fischer klammern sich noch an einen Hafenwall, von dem sich die Fluten längst zurückgezogen haben und der bald von verfaulendem Schilf überwuchert sein wird.
Da Achour haust in einem Elendsloch am Ende eines Weges zwischen einer vernachlässigten Hecke und einem lethargischen Hundepärchen. Wären da nicht ein Stück Meer statt des Horizonts und eine Felsplatte als einzige Anlegestelle, man könnte glauben, in der Vorhölle zu sein.
Da Achour verläßt niemals seinen Schaukelstuhl. Der ist bei ihm fast schon ein natürlicher Körperfortsatz. Eine Zigarette im Mundwinkel, den Bauch über seinen Schildkrötenknien, fixiert er unermüdlich einen vagen Punkt auf hoher See. Von morgens bis abends sitzt er so da, am Rande des Halbschlafs, in den ihn die Lieder El Ankas begleiten, und läßt friedlich sein achtzigstes Jahr in einem frustrierenden Land verstreichen. So manchen Krieg hat er mitgemacht, von der Normandie bis Dien Bien Phu, von Guernica bis zu den Djurdjura-Bergen, und er versteht bis heute nicht, warum die Menschen sich noch immer die Köpfe einschlagen, wo schon ein einfacher Rausch sie einander näher brächte.
Heute zerbricht sich Da Achour nicht mehr den Kopf darüber. Er wartet von Brandungswelle zu Brandungswelle auf das Erscheinen der Dame mit der Silbersichel. Seine Frau ist vor mehr als zwanzig Jahren gestorben, Nachkommen hat er keine, und er wäre überhaupt nicht traurig, wenn es dem Höchsten gefiele, ihn zu sich zu rufen.
Ich treffe Da Achour auf der Veranda an, die Füße auf dem Teetischchen, den Blick in die Ferne gerichtet. Sein feuerroter Nacken zittert beim Geräusch meiner Schritte. Er macht sich nicht die Mühe umzuschauen, als ich mich auf einem Feldbett in Nähe der Brüstung niederlasse.
Es dauert eine Weile, bis er, durch mein Seufzen gereizt, endlich brummt: »Du hast deine Berufung verfehlt, Llob.«
»Lino sagt immer, aus mir wäre ein guter Theater-Souffleur geworden«, stimme ich zu.
»Oder ein miserabler Fernseh-Zuschauer.«
»Ah ja?«
»Weil du alles schwarz siehst.«
Ich folge eine Weile dem torkelnden Flug eines Schmetterlings, dann bleibt mein Blick wieder am faltigen Genick des Alten hängen.
»So lustig ist das nicht, Da.«
»Du bist nicht der Messias.«
»Aber ich mache mir Sorgen.«
»Es hilft dir gar nichts, wenn du dich verrückt machst.«
Ich stütze mich auf den Ellenbogen und kontere: »Du bekommst hier in deinem Rattenloch nicht viel mit, Da.«
»Wer aus der Ferne zusieht, hat den besseren Überblick.«
»Man kann doch nicht einfach zusehen, wie das ganze Land zum Teufel geht.«
»Alles Biologie. Die Welt macht gerade die Wechseljahre durch. Wir treten in eine ekstatische Ära ein, das Jahrtausend der Gurus. Die Zivilisationen werden hinweggefegt, die Geschichte kehrt an den Nullpunkt zurück. Die Grenzen werden fallen, die Rassen werden verschwinden, auch die Grundwerte werden
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