Commissaire-Llob 1 - Morituri
wurde, über den 26-Milliarden-Skandal bis hin zu den phantastischen Benefizveranstaltungen im Fernsehen zugunsten der Hospize ist das alles in seiner tödlichen Banalität keine Schlagzeile mehr wert.
Angesichts meiner Lethargie kürzt Serdj die Sache ab. Er tippt mit seinem tintenverschmierten Finger auf Mourad Attis Gesicht.
»Die Kleine wußte sicher etwas über den Tod ihres Cousins. Vielleicht hat sie sich selber bedroht gefühlt oder einfach nur den Kopf verloren. Das ist das dritte Mal, daß uns der Name des Limbes Rouges unterkommt. Meiner Meinung nach sollten wir uns mit Kommissar Dine kurzschließen. Er hat seinerzeit beim Tod von Abbas Laouer ermittelt.«
»Dine ist in der Irrenanstalt.«
»Sie haben ihn vor einem Monat entlassen. Ich habe das überprüft. Außerdem haben wir keine andere Wahl.«
Dine empfängt mich in seiner armseligen Bude in einem der Wohnsilos. Er ist unheimlich gealtert. Nichts ist mehr übrig von seiner Leibesfülle. Von seiner Heiterkeit auch nicht. Er ist kahl geworden, sein Blick grau, seine Wangen so hohl, daß man Wasser in ihnen auffangen könnte. Der Mann ist am Ende, völlig verbraucht, er zittert und keucht: ein Wrack, das sich im Halbdunkel des Zimmers auflöst.
Unser Wiedersehen ist so unpersönlich wie eine Gegenüberstellung. Er hat weder einen Handschlag noch ein Lächeln für mich übrig. Ich habe das Gefühl, seine Kreise zu stören. Ich setze mich ihm gegenüber hin und finde nirgendwo die Kraft, ihn zu fragen, wie es ihm geht.
Auf dem Tisch zwischen uns eine Flasche, in der gerade noch ein Finger Alkohol übrig ist, daneben ein Aschenbecher, voll wie eine Urne. Um uns herum ein einziges Chaos: Matratzen liegen herum, einzelne Schuhe, schmutziges Geschirr, Staub, Gestank …
Dine schiebt seinen Pyjama hoch, um sich an der Wade zu kratzen. Sein Bein ist ungesund bleich. Mit zittriger Hand hebt er eine Schachtel Zigaretten vom Boden auf.
»Du schnaufst schon wie eine Dampflok!«
»Verteilt den Raucheratem besser im Raum. Tut mir leid, einen Kaffee kann ich dir nicht anbieten.«
»Macht nichts. Sind deine Kinder nicht da?«
»Leg keinen Wert drauf, daß die mich so verkatert hier rumhängen sehen. Ich hab sie nach Oran geschickt.«
Ich nicke. »Wir machen alle turbulente Zeiten durch.«
Ohne den Sinn zu erfassen, wiederholt er mit betrunkener Stimme: »Turbulente Zeiten.«
Er sinkt in seinen abgewetzten Sessel zurück, bläst Rauchkringel in die Luft. Flüchtig scheint ein blödes Lächeln unter seinem Schnurrbart auf. Unvermittelt runzelt er die Stirn, als hätte er eben erst meine Anwesenheit bemerkt.
»Warum bist du gekommen, Llob?«
»Kannst es wohl kaum erwarten, bis ich das Feld wieder räume?«
»Man kann dir aber auch gar nichts verheimlichen.«
Ich stehe auf, trete ans Fenster. Draußen verweigert Algier dem Mittelmeer jegliches Interesse. Über seine sämtlichen Hügel verstreut starrt es auf die Sonne wie ein verwüsteter Hühnerhof auf ein unerreichbar fernes Maiskorn. Schweigend und mißtrauisch ankern ein paar Schiffe auf offener See. Die Küsten des Landes sind auch nicht mehr das, was sie einmal waren.
Unten, auf der aufgesprungenen Erde des Innenhofs, reißen zwei Kinder meinem Zastava den Rückspiegel ab. Ein drittes springt auf dem Auto herum und rutscht laut lachend über die Motorhaube.
»Warum bist du gekommen?«
Ich drehe mich um. Dine steckt sich mit dem Stummel der alten eine neue Zigarette an. Seine Bewegungen sind hektisch. Wie eine Alte, die ihr Gebiß zurechtrückt.
»Wegen des Limbes Rouges.«
»Ich hab mit der Sache nichts mehr zu tun.«
»Ich schon.«
Er betrachtet seine Zigarette und verliert sich eine Weile in seinen Alpträumen.
»Das ist ein Schießstand, Llob. Zu viele Heckenschützen.«
»Hast du deshalb aufgegeben?«
»Ich bin zweiundfünfzig, habe acht Mäuler zu stopfen und keinen Groschen auf der Seite.«
»Hat man dir gedroht?«
Er wirft den Kopf mit einem ungesunden Lachen nach hinten.
»Man droht nicht einem Nichts, einem Weniger-als-Nichts. Man setzt zwei Bengel auf ihn an, die jünger als seine eigenen Kinder sind, und die Sache ist erledigt.«
»Wer ist ,man’?«
»Dein Problem. Ich bin ausgestiegen. Ich stehe auf, wann ich will, gehe schlafen, wenn ich Lust dazu habe, und wenn ich auch nicht jeden Tag die Nase nach draußen stecke, habe ich wenigstens den Trost, daß ich nicht meinen eigenen Schatten für einen Terroristen halten muß.«
Verbittert drückt er die Zigarette im
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