Commissaire-Llob 1 - Morituri
Seitensprung. Die Leute verkriechen sich zu Hause und halten den Atem an. Eine Schüssel, die beim Nachbarn hinunterfällt, versetzt gleich das ganze Viertel in Alarm.
Zwischen zwei Polizeikontrollen braust von Zeit zu Zeit ein Geisterauto über die regennasse Straße und hält vorm Night-Club an. Dann schließt sich die Tür des Etablissements wieder und überläßt die Welt dem leisen Gejammer des Regens und dem frenetischen Tanz der Bäume.
Wir haben an der Ecke unter einer Laterne mit zerschlagener Lampe geparkt. Wir qualmen verdrossen eine Zigarette nach der anderen. Die Scheiben sind beschlagen und Lino ist beleidigt, weil sich die Zeiger seiner Uhr noch immer im Kreise drehen. Es ist eine Strafe für ihn, in einer stinkenden Karre auf einem vermoderten Sitz zu hocken und darauf zu hoffen, daß das Vögelchen ausfliegt. Er verübelt mir, daß ich ihn zu nächtlicher Stunde herausgeholt habe, und fühlt sich grund- und gnadenlos ausgenutzt.
Er regt sich ganz umsonst auf. Wenn ich mir einmal etwas in den Kopf gesetzt habe, würde sich jeder Nagelheber daran die Zähne ausbeißen.
Das Vögelchen kommt gegen ein Uhr heraus. Ein Mädchen von etwa zwanzig Jahren, schön wie ein Lächeln mit Rehaugen und gertenschlank. Den Bauchtanz beherrscht sie sicher besser als eine Kobra.
Wir warten, bis sie sich in ihrem Renault zusammengerollt hat und in Richtung Hafen weggefahren ist. Nach einer Polizeisperre durchqueren wir eine Vorstadt, die wie ein indischer Friedhof aussieht, umrunden einen Teil von Bab-el-Oued, wo die einfachen Leute bumsen, um sich warmzuhalten, und erklimmen die Serpentinen zu den Anhöhen der Stadt. Ohne Vorwarnung verschwinden die Elendsviertel, und wir finden uns in einem kleinen Garten Eden mit stattlichen Villen, Schweizer Chalets und hängenden Gärten wieder.
Lino, der in der Nähe eines Müllplatzes aufgewachsen ist, traut seinen Augen nicht. Er sieht sich staunend um und verrenkt sich fast den Hals, so ist er vom Glanz dieser Residenzen geblendet, die zwei Steinwürfe vom Elend der Slums entfernt schamlos ihre Pracht entfalten.
»Donnerwetter! Schau dir diese Festungen an, Kommy. Ich hoffe, du hast uns ein Visum besorgt. Wo sind wir hier eigentlich? Ich glaube, du hast ein wenig zu fest auf die Tube gedrückt. Wir haben bestimmt die Schallmauer durchbrochen!«
Ich gebe keine Antwort. Ich versuche, mich auf den Renault zu konzentrieren, um nicht aufsehen zu müssen.
Lino staunt buchstäblich Bauklötze. Der Arme!
Er hat noch immer nicht begriffen, daß in seinem geliebten Land jeder versucht, seinen Nachkommen einen Palast zu errichten, und niemand daran denkt, ihnen eine Heimat zu geben.
Der Renault vor uns fährt auf den Gehsteig, gleitet in eine Garage und schaltet die Lichter aus.
Ich wende mich zu Lino: »Jetzt wissen wir, wo Didis Freundin wohnt, und du bekommst den Auftrag, das Haus rund um die Uhr zu überwachen.«
Die Bauklötze fallen zusammen, sein Mund bleibt offen.
Ich tröste ihn: »Ist mal was anderes als deine Bruchbude.«
Eine Woche lang hat Lino in der Umgebung der Tänzerin herumgeschnüffelt, ohne auch nur den Schatten von Didi auszumachen. In der Zwischenzeit hat er einen Dealer wiedererkannt, den die Kleine zweimal empfangen hat. Das erstemal am Tag nach dem Mord an Ai’t Meziane, das zweite Mal in einem Mercedes, den ein Albino gefahren hat.
Über eine Kette von Umwegen ist es uns gelungen, den Schlupfwinkel des Dealers ausfindig zu machen. Ich beschließe, ihm mit Lino, Chater und Serdj einen Höflichkeitsbesuch abzustatten. Chater und Serdj sollen in einem Cafe gegenüber einer Sackgasse abwarten und uns den Rücken decken. Lino und ich klettern über eine Mauer, um in den Hof eines leerstehenden Lagerhauses zu gelangen.
Einige Kinder stehen aufrecht auf ein paar Fässern und pinkeln um die Wette. In einer Ecke rosten unter Schichten von Exkrementen und Staub die Überreste eines Traktors vor sich hin. Wir dringen in die Halle ein. Fast wäre Lino über eine Stufe gestolpert.
»He, du stehst auf meiner Hand!« stöhnt ein Penner unter einem Haufen von Stoffetzen.
Wir entschuldigen uns und gehen in Richtung einer feuchten Rumpelkammer weiter. Durch eine kleine Tür, die sich unter einer Metallstiege duckt, gelangen wir in einen Gang, der so eng ist, daß wir hintereinander gehen müssen. Unter uns brütet ein Elendsloch über seinem Unglück. Zwei Kleinkinder spielen unter dem abwesenden Blick eines Greises mit einer Gasflasche. Eine Luke führt
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