Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
kurz.«
Der Direx ist bleich. Mit einem derart kurzen Prozeß hat er nicht gerechnet. Er ist völlig überrumpelt, und die Rede, die er sorgsam auf drei Blatt zu Papier gebracht hat, kommt ihm mit einem Mal ganz unwirklich vor, dubioser als eine Alchimistenformel.
»Bitte, Monsieur Menouar!« Mourad Smai’l wird ungeduldig.
Der Direx taut nur mit Mühe aus seiner Erstarrung auf. Er wankt ans Rednerpult und betastet linkisch das Mikro, bis Omar Rih ihm schließlich zu Hilfe kommt. Als nächstes verheddert er sich auf der Suche nach einem unauffindbaren Taschentuch, gibt irgendwann auf und wendet sich seinen Blättern zu, die überflüssig geworden sind und nur stören. Die Schlinge des Schweigens zieht sich enger zu, macht ihn noch nervöser. Er räuspert sich, um einen hartnäckigen Kloß aus dem Hals zu entfernen, atmet tief durch und fängt mit unsicherer Stimme an: »Der Herr Generaldirektor hatte recht, nicht näher auf die Laufbahn von Kommissar Llob einzugehen. Sinnigerweise fällt diese Aufgabe, so undankbar sie sein mag, mir zu.«
Jetzt hat er keine Puste mehr. Er verhaspelt sich, konzentriert sich, steigt in die tiefsten Tiefen seines Ich herab, um von dort einen Mut hochzuholen, dem er vor langen Jahren abgeschworen hat, da er nicht die Empfindsamkeit einer Hierarchie verletzen wollte, die an die Unterwürfigkeit und stumme Ergebenheit ihrer Subalternen gewöhnt ist. Der Direx ist sich des Risikos bewußt, das er im Begriff ist einzugehen. Ich ahne, wie er unter Schmerzen den Stein des Sisyphus vor sich herrollt, aber er läßt nicht los und erklimmt, Stufe um Stufe, den Berg der Unsicherheiten. Mit schweißnasser Stirn und ausgedörrter Kehle ringt er nach Worten inmitten des Sturms. Seine Hände sind feucht vom Umklammern der allgemeinen Aufmerksamkeit, seine Adern geschwollen unter der Blicke Last. Er holt Luft, tief und tiefer, hebt die Augen auf und läßt den Blick über die versammelte Zuhörerschaft gleiten, dann hin zu mir. Ich lächele ihm zu, und wie von Zauberhand befreit er sich aus den Klauen der Angst und legt los:
»Es ist höchst anmaßend, über andere urteilen zu wollen. Vorausgesetzt, man ist ihnen überhaupt ebenbürtig, ist es wert, sie zu führen, hat ihren Gehorsam und ihr Vertrauen verdient. Chef zu sein, setzt voraus, den anderen etwas voraus zu haben, Weisheit vielleicht, mehr Diensteifer oder größere Weitsicht; etwas im guten Sinn Überlegenes, das ihre Bereitschaft rechtfertigen kann, den verschrobensten Anweisungen Folge zu leisten, nicht zu meckern und gewisse Überschreitungen hinzunehmen, die jemand begeht, den Vorschriften und Konventionen als unantastbar hinstellen. Mit Brahimi war das keine leichte Sache. Ich war ein gutes Jahrzehnt lang sein Chef, und unser Verhältnis war nicht immer ungetrübt. Wir haben uns manchmal angebrüllt, bis uns die Stimme versagt hat, wir haben oft gar nicht mehr miteinander geredet. Die grauen Haare auf meinem Kopf, die habe ich ihm zu verdanken. Ich habe mir wegen ihm manche Abreibung geholt. Und was bleibt jetzt von alledem? Eine Abschiedsrede, die ich improvisieren muß, denn die Worte, die ich gestern vorbereitet habe, sind heute schon Makulatur … Was sagen über Kommissar Llob, hier und jetzt, ganz spontan, auf die Gefahr hin, sich ungeschickt auszudrücken oder vielleicht resigniert zu klingen? Werden meine Worte auf der Höhe seiner Taten sein? Ich fürchte nein. Und so wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie mir vergeben wollten, falls auch ich nicht immer auf der Höhe des Augenblicks sein sollte. War Brahim ein guter Polizist? Ich glaube schon. Ein schwieriger Untergebener, das ja, aber ein hervorragender Polizist. Hatte er recht, das eine zugunsten des anderen zu vernachlässigen, hatte er unrecht? Eines ist gewiß: Er horchte auf sein Gewissen, und das ist alles andere als selbstverständlich. In einem Algerien, das verzweifelt auf der Suche nach sich selber war, ging Brahim, gleich ob im Schatten oder im Rampenlicht, während jeder um seinen Platz an der Sonne buhlte, aufrecht und geradlinig seinen Weg. Verführerische Angebote, Aussicht auf Profit, gute Gelegenheiten, die andernorts Diebe machen, all dem ist er nie erlegen. Und das wird man ihm nie verzeihen. Brahim hielt unbeirrbar Kurs auf das, was ihm loyal und gerecht erschien; alles andere hatte wenig Bedeutung für ihn. Er legte von Anfang an seine Marschroute fest und hat sie sein Leben lang eingehalten, couragiert und uneigennützig. Heute hat er nichts zu bereuen.
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