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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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fest, dass es sogar noch bescheidener wirkte als auf den ersten Blick. Keinerlei Teppich auf dem Holzfußboden - kein Parkett, sondern schmale Bretter, verlegt bei einer bestimmt nicht kostspieligen Renovierung, [39]  die vor einem halben Jahrhundert durchgeführt worden sein mochte. Neben dem Bett stand eine niedrige Kommode mit plumpen Beinen, darauf eine kleine Lampe mit gelbem Stoffschirm, an dem ringsum vergilbte Troddeln hingen. Ihm war, als habe eine Zeitmaschine ihn in ein Zimmer im Haus seiner Großmutter versetzt.
    In der halb aufgezogenen oberen Schublade der Kommode lagen ein paar eingeschweißte Päckchen mit Damenunterwäsche: jeweils drei Stück, einfache weiße Baumwollhöschen in drei verschiedenen Größen. Paola hatte er noch nie in so etwas gesehen. Zweckmäßige Höschen, wie man sie im Supermarkt kaufte, nicht im Dessousgeschäft, praktisch, nicht modisch, und gewiss nicht dazu bestimmt, Aufmerksamkeit zu erregen. Er sah auch ungeöffnete Päckchen mit weißen T-Shirts, ebenfalls in drei Größen. Diese waren ordentlich in die Schublade geräumt, dazwischen ein Stapel gebügelter weißer Baumwolltaschentücher.
    Er schob die Lade zu, jetzt brauchte er nicht mehr darauf zu achten, was er anfasste. Die nächste Schublade enthielt ein paar ungeöffnete Päckchen mit Damenstrumpfhosen und sechs oder sieben Paar Strümpfe, ebenfalls ungebraucht, alle grau oder schwarz und wieder in verschiedenen Größen und mit militärischer Präzision einsortiert. In der unteren Schublade lagen Pullover, Baumwolle auf der einen Seite, Wolle auf der anderen, auch wenn die beiden Stapel verrutscht waren. Immerhin waren die Farben etwas heiterer: einer rot, einer orange, ein anderer hellgrün, und obwohl alle getragen schienen, sah man ihnen doch an, dass sie gewaschen und gebügelt worden waren, bevor man sie in die Schublade gelegt hatte. Ein frisch gereinigter und gebügelter blauer Flanellpyjama [40]  lag rechts neben den Pullovern, dahinter eine Schachtel mit Lavendelkissen.
    Brunetti schloss die letzte Schublade. Er ließ sich auf ein Knie nieder und spähte unters Bett, aber da war nichts.
    Als er Vianello hinter sich ins Zimmer kommen hörte, fragte er: »Hast du in ihrem Schlafzimmer noch was gefunden?«
    »Nein. Nicht viel. Nur dass sie eine Vorliebe für hübsche Unterwäsche und teure Pullover hatte.«
    Brunetti kam auf die Beine und ging zu der Kommode zurück. Er zog die obere Schublade heraus und zeigte auf die Zellophanpäckchen, die da lagen. »Alles verschiedene Größen, alles ungeöffnet.« Vianello trat neben ihn. »Dasselbe mit den Strumpfhosen«, fuhr Brunetti fort. »Unten liegen Pullover - kein Kaschmir - und ein Pyjama, alles offenbar erst vor kurzem gewaschen.«
    »Was schließt du daraus?«, fragte Vianello und gestand achselzuckend: »Ich verstehe das nicht.«
    »Gäste bringen ihre eigenen Sachen mit«, meinte Brunetti. Vianello schwieg. »Auf jeden Fall ihre eigene Unterwäsche.«
    Die beiden gingen zu dem Zimmer zurück, in dem die Tote gelegen hatte. Von der Tür aus sah Brunetti, dass der Blutfleck nicht aufgewischt worden war, und versuchte, sich vorzustellen, was das für ein Anblick für die Angehörigen sein würde, wenn sie in das Zimmer kamen. Immer wieder, wenn er sich mit den Hinterlassenschaften des Todes beschäftigte, fragte er sich, was für ein Gefühl es sein mochte, die letzten Spuren eines Lebens aufzuwischen, und wie man das ertragen konnte.
    Erst die Abwesenheit der Toten erlaubte es Brunetti, sich [41]  auf das Zimmer zu konzentrieren. Es war größer, als er zunächst gedacht hatte. Rechts befand sich eine Schiebetür, dahinter eine kleine Küche, ausgestattet mit Holzschränken und, wie er vermutete, marokkanischen Fliesen an den Wänden.
    Da die Küche zu klein war, stand der Esstisch in dem größeren Zimmer, ein zweckmäßiges Rechteck mit vier Holzstühlen. Erst jetzt fiel Brunetti auf, wie schmucklos das Zimmer eingerichtet war. Auf dem Boden ein beigefarbener Läufer, an einer Wand ein nicht allzu großes Kruzifix, das aussah, als stamme es aus der Massenproduktion eines nichtchristlichen Landes: Andernfalls hätte Jesus niemals so rosige Lippen und Wangen gehabt, und auch sein Lächeln wirkte ziemlich fehl am Platz.
    Mit der Rückseite zu den Fenstern, die auf den campo und die angestrahlte Apsis der Kirche hinausgingen, stand ein dunkelbraunes Sofa. Rechts davon musste einmal eine Tür in der Wand gewesen sein, die bei einer der Umbaumaßnahmen, denen

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