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Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe

Titel: Commissario Brunettis zwanzigster Fall - Reiches Erbe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Leon
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Stunde gewesen, die Touristen allesamt verschwunden, alle anderen zu Hause im Bett, so dass es sich bei diesem Sonderling nur um den Polizisten handeln konnte.
    Er ging die Treppen hinauf, vorbei an den Schuhen und Zeitungsbündeln: einem Venezianer wie ihm kam dieses amöbenhafte Sich-Ausbreiten so vollkommen natürlich vor, dass er dem kaum Beachtung schenkte.
    Auf dem letzten Treppenabsatz hörte er von oben eine Frauenstimme: »Sind Sie von der Polizei?«
    »Si, Signora«, sagte er, griff nach seinem Dienstausweis und verkniff sich die Bemerkung, wie leichtsinnig es von ihr sei, Fremde einfach so ins Haus zu lassen. Als er oben ankam, ging sie ihm einen halben Schritt entgegen und hielt ihm die Hand hin.
    »Anna Maria Giusti«, sagte sie.
    »Brunetti«, antwortete er und ergriff ihre Hand. Als er ihr seinen Ausweis zeigte, sah sie nur flüchtig hin. Er schätzte [22]  sie auf Anfang dreißig: groß und schlank, aristokratische Nase und dunkelbraune Augen. Ihr Gesicht war starr vor Anspannung und Müdigkeit; in entspanntem Zustand mochte sie eine Schönheit sein. Sie zog ihn hinter sich her, ließ seine Hand los und trat einen Schritt zurück. »Danke, dass Sie gekommen sind«, sagte sie und spähte an ihm vorbei, um sich zu vergewissern, dass er allein gekommen war.
    »Mein Mitarbeiter und die anderen sind unterwegs, Signora«, sagte Brunetti, ohne weiter in die Wohnung zu gehen. »Könnten Sie mir inzwischen erzählen, was passiert ist?«
    »Das weiß ich nicht«, sagte sie und rang die Hände wie Frauen in Filmen der fünfziger Jahre, wenn sie ihrer Verzweiflung Ausdruck geben wollten. »Ich bin vor einer Stunde aus dem Urlaub gekommen, und als ich zu Signora Altavilla in die Wohnung ging, habe ich sie dort gefunden. Tot.«
    »Sind Sie sicher?«, fragte Brunetti, weil er annahm, sie mit dieser Frage weniger zu verwirren, als wenn er sie darum bitten würde, ihm zu beschreiben, was sie gesehen hatte.
    »Ich habe ihren Handrücken berührt. Der war kalt«, sagte sie. Sie presste die Lippen zusammen. Mit gesenktem Blick fuhr sie fort. »Und ihr Handgelenk, ich habe nach ihrem Puls gefühlt. Aber da war nichts.«
    »Signora, am Telefon haben Sie gesagt, es gab Blut.«
    »Auf dem Boden, neben ihrem Kopf. Als ich das gesehen habe, bin ich nach oben gegangen und habe Sie angerufen.«
    »Sonst noch etwas, Signora?«
    Sie wies auf das Treppenhaus hinter ihm, meinte aber offenbar die Etage darunter. »Die Wohnungstür war offen.« Als sie seine Überraschung bemerkte, fügte sie erklärend hinzu: [23]  »Das heißt: nicht abgeschlossen. Zu, aber nicht abgeschlossen.«
    »Verstehe«, sagte Brunetti. Er dachte nach und fragte schließlich: »Könnten Sie mir sagen, wie lange Sie fort gewesen sind, Signora?«
    »Fünf Tage. Vorige Woche bin ich nach Palermo gefahren, und heute Abend bin ich zurückgekommen.«
    »Danke«, sagte Brunetti und fragte dann angelegentlich: »Haben Sie Freunde besucht, Signora?«
    Der Blick, mit dem sie ihn bedachte, zeigte ihm, wie klug sie war und wie sehr die Frage sie beleidigte.
    »Es geht mir darum, alles Mögliche auszuschließen, Signora«, sagte er beschwichtigend.
    Ihre Stimme war ein bisschen lauter, ihre Aussprache etwas deutlicher, als sie sagte: »Ich habe in einem Hotel gewohnt. Villa Igiea. Sie können sich dort erkundigen.« Verlegen, so schien es Brunetti, wandte sie den Blick ab. »Jemand anders hat die Rechnung beglichen, aber ich stehe in den Büchern.«
    Das würde sich leicht überprüfen lassen, also fragte Brunetti nur: »Sie sind in Signora Altavillas Wohnung gegangen, um ...?«
    »Ich wollte meine Post holen.« Sie wandte sich ab und ging in ein großes offenes Zimmer, dessen Schrägen verrieten, dass es - vor wie vielen Jahrhunderten? - einmal ein Dachboden gewesen war. Brunetti folgte ihr und spähte zu den zwei Dachfenstern hinauf, ob sich dort Sterne zeigten, sah aber nur das von unten widergespiegelte Licht.
    Sie nahm einen Zettel vom Tisch und hielt ihn Brunetti hin. Er erkannte die beige Empfangsbestätigung für ein Einschreiben. [24]  »Ich wusste nicht, was das sein könnte, und dachte, vielleicht ist es etwas Wichtiges«, sagte sie. »Und weil ich nicht bis morgen warten wollte, um das herauszufinden, bin ich nach unten gegangen, um zu sehen, ob der Brief dort ist.«
    Brunetti sah sie fragend an, und sie fuhr fort: »Wenn ich weg bin, nimmt sie meine Post entgegen und legt sie mir, wenn ich wieder zurückkomme, vor die Tür, oder ich geh runter und hole sie

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