Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
Besonderes passieren sollte, ruf ich dich an.«
Der Stellvertreter des Commissario, Mimi Augello, war pünktlich aus den Ferien zurück, folglich konnte Montalbano problemlos abreisen. Augello war ein fähiger Mensch. Montalbano rief Livia an und sagte ihr, um wieviel Uhr er ankommen würde. Livia war glücklich und versprach, ihn am Flughafen abzuholen. Kaum hatte er sein Büro betreten, berichtete Fazio ihm, daß die Arbeiter der Salzfabrik den Bahnhof besetzt hielten. Man hatte sie allesamt ›freigestellt‹, was nichts anderes als ein barmherziger Ausdruck dafür war, daß man ihnen allen gekündigt hatte. Ihre Frauen lagen ausgestreckt auf den Gleisen, um den Bahnverkehr zu blockieren. Das Militär war schon vor Ort. Ob sie auch hingehen sollten? »Wozu?«
»Na ja, weiß nicht, helfen.«
»Wem denn?«
»Wie, wem, Dottore? Den Carabinieri, den Ordnungshütern, zu denen wir ja schließlich auch noch gehören, zumindest bis der Gegenbeweis erbracht worden ist.«
»Wenn du schon unbedingt jemandem helfen mußt, dann hilf denen, die den Bahnhof besetzt haben.«
»Dottore, ich hab's ja immer schon geahnt: Sie sind ein Kommunist.«
»Commissario? Stefano Luparello am Apparat. Verzeihen Sie bitte, aber hat sich mein Cousin Giorgio bei Ihnen blicken lassen?«
»Nein, er hat sich nicht gemeldet.«
»Wir sind alle sehr besorgt. Kaum hatte das Beruhigungsmittel nachgelassen, ist er weggegangen und offensichtlich erneut verschwunden. Mama möchte Sie um einen Rat bitten. Sie fragt sich, ob es nicht angebracht wäre, daß wir uns an die Polizei wenden, um Nachforschungen anstellen zu lassen.«
»Nein. Richten Sie Ihrer Mutter aus, daß ich das für unnötig halte. Giorgio wird sich bestimmt bald melden. Sagen Sie ihr, sie könne ganz beruhigt sein.«
»In jedem Falle möchte ich Sie bitten, uns zu verständigen, wenn Sie etwas hören.«
»Das wird ziemlich schwierig sein, Ingegnere, denn ich bin ab heute für einige Tage in Urlaub. Ich komme erst am Freitag zurück.«
Die ersten drei Tage mit Livia in ihrem Häuschen in Boccadasse ließen ihn Sizilien beinahe ganz vergessen. Grund dafür waren die vielen Stunden tiefen Schlafes, die er jetzt, mit Livia im Arm, nachholte. Aber wie gesagt, nur beinahe, denn zwei- oder dreimal überfielen ihn der Duft, der Dialekt, die Dinge seiner Heimat hinterrücks, hoben ihn schwerelos in die Luft und brachten ihn für wenige Augenblicke zurück nach Vigàta. Jedesmal, da war er sich sicher, hatte Livia diese vorübergehende Versunkenheit, diese Abwesenheit bemerkt, und jedesmal hatte sie ihn schweigend angesehen.
Am Donnerstag abend erhielt er einen völlig unerwarteten Anruf von Fazio.
»Nichts Wichtiges, Dottore, ich wollte nur Ihre Stimme hören und sicher sein, daß Sie morgen zurückkommen.«
Montalbano wußte nur zu gut, daß die Beziehung zwischen dem Brigadiere und Augello nicht einfach war. »Brauchst du ein wenig Zuspruch? Hat dir dieser Bösewicht von Augello etwa den Hintern versohlt?«
»Dem kann ich es nie recht machen.«
»Hab Geduld, ich habe dir doch gesagt, daß ich morgen zurückkomme. Neuigkeiten?«
»Gestern haben Sie den Bürgermeister und drei aus dem Gemeindeausschuß verhaftet. Erpressung und Unterschlagung. Wegen der Ausbauarbeiten am Hafen.«
»Endlich haben sie's kapiert.«
»Ja, Dottore, aber machen Sie sich keine Illusionen. Die wollen hier den Richtern in Mailand nacheifern, aber Mailand ist eben sehr weit weg.«
»Sonst noch was?«
»Wir haben Gambarella gefunden, erinnern Sie sich? Den, den sie umbringen wollten, als er beim Tanken war. Von wegen auf dem flachen Land vergraben! Er lag incaprettato, also die Hände und Füße auf dem Rücken zusammengebunden mit einer Schnur, die um den Hals führt und mit der er sich selbst erdrosselt hat, im Kofferraum seines Wagens. Den haben sie dann angezündet.
Er ist vollkommen verbrannt.«
Er hatte den Ausdruck der sizilianischen Mafia benutzt. Das Wort verwies auf die Art und Weise, in der man Zicklein, capretti, für den Transport band.
»Wenn er vollständig verbrannt war, woher wißt ihr dann, wie sie Gambarella umgebracht haben?«
»Sie haben Eisendraht benutzt, Dottore.«
»Bis morgen, Fazio.«
Und dieses Mal waren es nicht nur der Duft und der Dialekt seiner sizilianischen Heimat, die ihn einholten, sondern auch die Dummheit, die Grausamkeit und das Entsetzen.
Nachdem sie sich geliebt hatten, blieb Livia eine Weile schweigend liegen, dann ergriff sie seine Hand. »Was ist los? Was
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