Commissario Montalbano 01 - Die Form des Wassers
dahergeredet, nicht bedacht, daß er Jacomuzzi wegen der Fotos, die er der Signora gegeben hatte, aus der Sache heraushalten mußte. Aber jetzt gab es keinen Ausweg mehr. »Die Signora hatte die Fotos, die der Erkennungsdienst gemacht hatte. Ich weiß nicht, wie sie an die rangekommen ist.«
»Vielleicht weiß ich es«, sagte der Polizeipräsident, und seine Miene verfinsterte sich.
»Sie hatte sie mit einem Vergrößerungsglas genauestens untersucht. Sie hat sie mir gezeigt. Und sie hatte recht.«
»Und daraus hat die Signora ihre Schlüsse gezogen?«
»Genau. Sie geht davon aus, daß ihr Mann, wenn er beim Ankleiden die Unterhosen falsch herum angezogen hätte, dies im Laufe des Tages zweifellos bemerkt hätte. Er mußte mehrmals am Tag Wasser lassen, weil er harntreibende Mittel nahm. Folglich glaubt die Signora, daß ihr Gatte in einer, gelinde gesagt, peinlichen Situation überrascht worden sei. Man habe ihn gezwungen, sich hastig anzuziehen und an die Mànnara zu fahren, wo er, nach Meinung der Signora, versteht sich, kompromittiert werden sollte, und zwar derart, daß er sich aus der Politik hätte zurückziehen müssen. Übrigens gibt's diesbezüglich noch mehr Hinweise.«
»Nur zu!«
»Die beiden Müllmänner, die die Leiche gefunden haben, sahen es als ihre Pflicht an, den Avvocato Rizzo zu verständigen, bevor sie die Polizei anriefen, da sie wußten, daß er Luparellos alter ego war. Nun gut, Rizzo zeigt nicht nur keinerlei Verwunderung, Beunruhigung oder gar Angst, nichts dergleichen, nein, er fordert die beiden sogar auf, die Sache unverzüglich der Polizei zu melden.«
»Und woher wissen Sie das? Haben Sie das Telefonat abgehört?« fragte der Polizeipräsident bestürzt. »Nein, durchaus nicht. Ich habe vielmehr die getreue Abschrift des kurzen Gesprächs, die einer der beiden Müllmänner angefertigt hat. Er hat es aus Gründen getan, die zu erklären zu lange dauern würde.«
»Wollte er jemanden erpressen?«
»Nein, er wollte ein Theaterstück schreiben. Glauben Sie mir, er hatte nicht die geringste Absicht, ein Verbrechen zu begehen. Und damit sind wir beim Thema, soll heißen, bei Rizzo.«
»Warten Sie. Ich hatte mir für heute abend fest vorgenommen, Sie zu rügen. Wegen Ihres ständigen Drangs, einfache Dinge zu komplizieren. Sie haben bestimmt Candido von Sciascia gelesen. Erinnern Sie sich, daß die Hauptfigur an einer bestimmten Stelle behauptet, daß die Dinge fast immer einfach sind? Das wollte ich Ihnen nur in Erinnerung rufen.«
»Ja, aber sehen Sie, Candido sagt »fast immer‹, er sagt nicht ›immer‹. Er läßt Ausnahmen zu. Und die Geschichte mit Luparello ist ein Fall, in dem die Dinge so arrangiert worden sind, daß sie einfach erscheinen.«
»Und in Wahrheit sind sie kompliziert?«
»Das sind sie in der Tat. Apropos Candido, erinnern Sie sich an den Untertitel?«
»Natürlich. Ein Traum in Sizilien.«
»Eben. Hier haben wir es allerdings mit einer Art Alptraum zu tun. Ich möchte eine Hypothese wagen, die man mir schwerlich bestätigen wird, jetzt, wo Rizzo tot ist. Also, am späten Sonntag nachmittag, gegen sieben Uhr, ruft der Ingegnere seine Frau an und teilt ihr mit, daß es sehr spät werden könne, er habe eine wichtige Konferenz. Statt dessen fährt er zu einem Rendezvous in sein Haus am Capo Massaria. Ich darf Ihnen gleich verraten, daß sich eventuelle Nachforschungen über die Person, die mit dem Ingegnere zusammen war, als sehr schwierig gestalten würden, denn Luparello war bi.«
»Was soll das denn heißen, bitte? Bedeutet das, daß er…?«
»Ja, er war bisexuell, umgangssprachlich bi, jemand, der sowohl mit Männern als auch mit Frauen verkehrte.«
Mit ihren ernsten Gesichtern wirkten sie wie zwei Professoren, die an einem neuen Wörterbuch arbeiteten.
»Also, das glauben Sie doch selber nicht!« platzte der Polizeipräsident bestürzt heraus.
»Die Signora Luparello selber hat mir das deutlich zu verstehen gegeben. Und sie hatte keinerlei Interesse, mir irgendwelche Märchen zu erzählen, vor allem nicht in dieser Hinsicht.«
»Sind Sie zu dem Haus gefahren?«
»Ja. Alles in peinlicher Ordnung. Es fanden sich nur Sachen, die dem Ingegnere gehörten, sonst nichts.«
»Fahren Sie mit Ihrer Hypothese fort.«
»Während des Geschlechtsverkehrs oder danach, was wegen der Spuren von Sperma, die wir gefunden haben, wahrscheinlicher ist, stirbt Luparello. Die Frau, die bei ihm ist…«
»Halt«, gebot der Polizeipräsident, »wie können Sie so
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