Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Militärfahrzeug angehalten und gebeten, sie mitzunehmen, in den Tagen damals muß es von italienischen und deutschen Soldaten nur so gewimmelt haben. Sie war ein hübsches Mädchen, das wird nicht schwer gewesen sein«, mischte sich der Preside ein; er hatte beschlossen, kooperativ zu sein, nachdem er widerwillig eingesehen hatte, daß die Phantasien seiner Frau doch nicht aus der Luft gegriffen waren.
»Und die Bomben? Und das Gewehrfeuer? Ganz schön mutig«, sagte die Signora.
»Welchen Satz meinen Sie dann?« fragte der Preside ungeduldig.
»Wo Lisetta Ihrer Frau schreibt, er habe sie wissen lassen, daß sie, nachdem sie so lange in Vigàta gewesen seien, den Befehl zum Aufbruch bekommen hätten.«
»Ich verstehe nicht.«
»Sehen Sie, Signora, in diesem Satz erfahren wir, daß er schon lange in Vigàta war, folglich war er nicht von hier. Zweitens: Er teilt Lisetta mit, daß er gezwungen sei, das Dorf zu verlassen. Drittens: Er schreibt im Plural, also muß nicht nur er allein Vigàta verlassen, sondern eine Gruppe von Personen. Das alles deutet auf einen Soldaten hin. Ich mag mich täuschen, aber es erscheint mir logisch.«
»Logisch«, wiederholte der Preside. »Sagen Sie, Signora, wann hat Lisetta Ihnen zum erstenmal erzählt, daß sie sich verliebt hat, wissen Sie das noch?«
»Ja, weil ich in den Tagen damals krampfhaft versucht habe, mich an jedes kleinste Detail der Stunden zu erinnern, die ich mit Lisetta verbracht hatte. Das war sicher gegen Mai oder Juni 1942. Ich habe mein Gedächtnis mit einem alten Tagebuch aufgefrischt, das ich wiedergefunden habe.«
»Das ganze Haus hat sie auf den Kopf gestellt«, brummte ihr Mann.
»Man müßte herausfinden, welche Garnisonen zwischen Anfang 1942, vielleicht auch eher, und Juli 1943 hier stationiert waren.«
»Und wie soll das gehen?« fragte der Preside. »Ich zum Beispiel erinnere mich an jede Menge Flugabwehr- und Küstenbatterien, an einen mit Geschützen bestückten Güterzug, der in einem Tunnel versteckt war, an die Soldaten in der Garnison und die in den Bunkern... Seeleute nicht, die kamen und gingen. Das festzustellen ist praktisch unmöglich.«
Sie schwiegen bekümmert. Dann erhob sich der Preside. »Ich rufe Burruano an. Er ist immer in Vigàta geblieben, vor, während und nach dem Krieg. Ich bin ja auch geflohen.«
Die Signora teilte Montalbano mit, worüber sie nachgedacht hatte: »Vielleicht war es nur Schwärmerei, in dem Alter kann man noch nicht so unterscheiden, aber ernst war es ihr auf jeden Fall, so ernst, daß sie riskiert hat, auszureißen und sich gegen ihren Vater aufzulehnen, der wie ein Gefängniswärter war, zumindest erzählte sie das.«
Montalbano lag eine Frage auf den Lippen, er wollte sie nicht stellen, aber sein Jagdinstinkt gewann die Oberhand.
»Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche, aber könnten Sie genauer... Ich meine, können Sie mir sagen, in welchem Sinn Lisetta dieses Wort ‚Gefängniswärter’ gebraucht hat? War es die Eifersucht eines sizilianischen Vaters? Zwanghafte Eifersucht?«
Die Signora sah ihn kurz an und senkte dann den Blick.
»Ich sagte schon, daß Lisetta viel weiter war als ich, ich war noch ein Kind. Mein Vater hatte mir verboten, das Haus der Moscatos zu betreten, wir sahen uns also nur in der Schule oder in der Kirche. Dort konnten wir ein paar Stunden in Ruhe zusammensein. Wir redeten miteinander. Und jetzt zerbreche ich mir den Kopf, um mich zu erinnern, was sie mir gegenüber angedeutet oder gesagt hat. Ich glaube, ich habe damals einiges nicht verstanden...«
»Was denn?«
»Zum Beispiel hatte Lisetta ihren Vater immer ‚meinen Vater’ genannt, und dann sprach sie plötzlich von ‚diesem Mann’. Das hat nicht unbedingt etwas zu bedeuten. Ein andermal sagte sie: ‚Dieser Mann wird mir noch weh tun, sehr weh.’ Ich glaubte damals, er würde sie schlagen, verprügeln, verstehen Sie? Jetzt kommt mir ein schrecklicher Zweifel über die wahre Bedeutung dieser Worte.«
Sie hielt inne, trank einen Schluck Tee und fuhr dann fort. »Mutig war sie, wirklich mutig. Wenn wir während der Bombenangriffe in unserem Versteck saßen und vor Angst zitterten und weinten, dann war sie diejenige, die uns Mut machte und uns tröstete. Aber für das, was sie dann getan hat, mußte sie noch viel mutiger sein – den Vater herauszufordern, im Gewehrfeuer wegzulaufen, hierherzukommen und mit einem zu schlafen, der nicht mal ihr offizieller Verlobter war. Wir waren damals anders als die
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