Commissario Montalbano 02 - Der Hund aus Terracotta
Der Alte sah auf die Uhr, die er sich dazu fast in die Augen bohrte. »Jetzt tun wir folgendes. Ich schlafe ein Stündchen, dann wecken Sie mich, rufen ein Taxi, und ich fahre nach Punta Ràisi zurück.«
Montalbano lehnte die Fensterläden an und ging zur Tür.
»Einen Augenblick noch, Commissario.« Der Alte hatte aus dem Portemonnaie, das er auf das Nachtkästchen gelegt hatte, ein Foto herausgezogen und reichte es dem Commissario.
»Das ist meine jüngste Enkelin, sie ist siebzehn und heißt Lisetta.«
Montalbano trat in einen Lichtstrahl. Abgesehen von den Jeans, die sie anhatte, und dem Mofa, an das sie sich lehnte, war diese Lisetta wie eine Zwillingsschwester, ein Ebenbild der anderen Lisetta. Er gab Rizzitano das Foto zurück.
»Dürfte ich Sie vielleicht noch um ein Glas Wasser bitten?«
Montalbano saß in der Veranda und beantwortete die Fragen, die sein Polizistenhirn stellte. Der Leichnam des gedungenen Mörders – falls man ihn unter den Trümmern überhaupt gefunden hatte – war bestimmt nicht mehr zu identifizieren gewesen. Lillos Eltern hatten entweder geglaubt, daß es die sterblichen Überreste ihres Sohnes seien oder daß er, wie der Bauer erzählte, halbtot von Soldaten mitgenommen worden sei. Aber da er nichts mehr von sich hatte hören lassen, war er sicher irgendwo gestorben. Für Stefano Moscato waren es die Überreste des Mörders, der, nachdem er sein Werk zu Ende gebracht, also Lisetta, Mario und Lillo ermordet und ihre Leichen hatte verschwinden lassen, noch mal ins Haus zurückgekehrt war, um etwas zu stehlen, dann aber von einer Bombe zerfetzt wurde. Von Lisettas Tod überzeugt, hatte er die Geschichte mit dem amerikanischen Soldaten in die Welt gesetzt. Als aber sein Verwandter aus Serradifalco nach Vigàta kam, hatte dieser ihm nicht geglaubt und die Beziehungen mit ihm abgebrochen. Er dachte an die Fotomontage, und da fiel ihm das Bild ein, das Rizzitano ihm gezeigt hatte. Er lächelte. Wahlverwandtschaften waren ein plumpes Spiel, verglichen mit dem unergründlichen Kreislauf des Blutes, der der Erinnerung Gewicht, Gestalt, Atem verleihen konnte. Er sah auf die Uhr und sprang auf. Die Stunde war längst vorbei. Er ging ins Schlafzimmer. Der alte Mann genoß einen unbeschwerten Schlaf, er atmete leicht und sah entspannt und ruhig aus. Ohne sperriges Gepäck konnte er durchs Land des Schlafes reisen. Er konnte lange schlafen, er hatte ja sein Portemonnaie mit Geld und ein Glas Wasser auf dem Nachtkästchen. Montalbano fiel der Plüschhund ein, den er Livia auf Pantelleria gekauft hatte. Er fand ihn auf der Kommode, hinter einer Schachtel versteckt. Er nahm ihn und stellte ihn ans Bettende auf den Boden. Dann schloß er behutsam die Tür hinter sich.
Anmerkung des Autors
Die Idee zu dieser Geschichte kam mir, als wir uns im Unterricht mit Taufik al-Hakims Drama Die Leute der Höhle beschäftigten, um zwei ägyptischen Studenten eine Freude zu machen.
Deswegen möchte ich das Buch all meinen Schülern an der Accademia nazionale d'arte drammatica Silvio d'Amico widmen, an der ich seit siebenundzwanzig Jahren Regie lehre.
Ich finde es lästig, bei jedem Buch, das gedruckt wird, wiederholen zu müssen, daß Ereignisse, Personen und Situationen erfunden sind. Aber es muß anscheinend sein. Und wenn ich schon mal dabei bin, möchte ich noch hinzufügen, daß die Namen meiner Personen aus vergnüglichen Assonanzen heraus entstehen, ohne daß irgendeine Böswilligkeit dahintersteckt.
Anmerkungen der Übersetzerin
Asinara: Ehemalige Gefängnisinsel vor der Nordwestküste Sardiniens
Eduardo de Filippo: 1900-1984, italienischer Schauspieler, Autor und Regisseur
Mário de Sá-Carneiro: 1890-1916, portugiesischer Lyriker
Delio Tessa: Mailänder Lyriker, 1886-1939, verfaßte seine Werke im Mailänder Dialekt
Vuccirìa: Markt in Palermo, 1974 von dem sizilianischen Maler Renato Guttuso gemalt
Im Text erwähnte kulinarische Köstlichkeiten
Alici con cipolla e aceto Sardellen mit süßsauer gebratenen Zwiebeln
Alici all'agretto Überbackene Sardellen
Antipasto speciale di frutti di mare Meeresfrüchte mit schwarzen Oliven
Antipasto di mare Meeresfrüchte
Attuppateddri al suco Kleine hellbraune Schnecken
Caciocavallo stagionato Reifer Caciocavallo (Käse aus Kuh- oder Büffelmilch)
Calamaretti bolliti Gekochte Tintenfische
Granita di limone Granita aus Zitronensaft
Merluzzo Kabeljau
Mèusa Gekochte und mit Caciocavallo belegte Innereien vom Lamm
Milanzane alla parmigiana
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