Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
Kopfschmerzattacke. Er war so erstarrt, dass Livia erschrak.
»Was hast du, Salvo?«
Er konnte sich nicht rühren, seine Beine waren bleischwer, doch in seinem Gehirn bewegte sich alles blitzschnell, all die Rädchen waren froh, dass sie sich endlich in die richtige Richtung drehen konnten.
»Mein Gott, Salvo, ist dir nicht gut?«
»Doch.«
Allmählich vermochte er sich wieder aus der Starre zu lösen. Es gelang ihm, sich zu setzen. Aber auf seinem Gesicht musste grenzenloses Staunen liegen, und er wollte nicht, dass Livia das sah.
Er legte seinen Kopf an ihre Schulter und sagte:
»Danke.«
Da begriff er auch, woher vorhin im Bett dieses Gefühl der Dankbarkeit gekommen war, das er sich zunächst nicht hatte erklären können.
Fünfzehn
Das Klicken der Zeitfeder um drei Uhr siebenundzwanzig und vierzig Sekunden konnte Montalbano diese Nacht nicht wecken, denn er war schon wach; er hatte nicht einschlafen können, am liebsten wäre er im Bett hin und her gerollt, hätte sich von den Gedankenwogen tragen lassen, die aufeinander folgten wie Sturzwellen bei hohem Seegang, aber er konnte sich ja schlecht herumwälzen, und so zwang er sich, ruhig dazuliegen, um Livia nicht zu stören, die fast sofort ins Land des Schlafes abgereist war.
Um sechs klingelte der Wecker, der Tag ließ sich recht schön an, um Viertel nach sieben waren sie bereits auf dem Weg zum Flughafen Punta Raisi. Livia saß am Steuer. Während der Fahrt redeten sie kaum. Montalbano war in Gedanken schon ganz woanders, er wollte gleich nachher versuchen herauszufinden, ob seine Idee ein absurdes Phantasiegebilde war oder die nicht weniger absurde Wahrheit; Livia dachte an all das, was in Genua auf sie wartete, die anstehende Arbeit, die Dinge, die wegen ihrer ungeplanten Reise nach Vigàta halb fertig liegen geblieben waren.
Bevor Livia in die Abflughalle ging, umarmten sie einander mitten unter den Leuten wie ein verliebtes junges Pärchen. Als Montalbano sie in den Armen hielt, empfand er zwei widersprüchliche Gefühle, zwei Gefühle, die von Natur aus nicht zusammenpassten und doch da waren. Einerseits war er sehr traurig über Livias Abreise, er würde zu Hause bei jeder Gelegenheit ihre Abwesenheit spüren; jetzt, wo er allmählich in die Jahre kam, empfand er die Einsamkeit manchmal als bedrückend. Das zweite Gefühl war indes so etwas wie Eile, ein Drängen, Livia sollte sich nicht länger aufhalten und auf der Stelle abreisen, damit er schnell nach Vigàta zurückfahren und tun konnte, was er zu tun hatte, vollkommen frei, ohne auf ihren Tagesablauf und ihre Wünsche Rücksicht nehmen zu müssen.
Livia löste sich von ihm, sah ihn an und ging zur Passkontrolle. Montalbano blieb, wo er war. Nicht um ihr bis zuletzt mit dem Blick zu folgen, sondern weil er erstaunt war und sich nicht vom Fleck rühren konnte. Er glaubte, in ihren Augen, ganz tief unten, ein Funkeln wahrgenommen zu haben, ein Glitzern, das da nichts verloren hatte. Nur einen Augenblick hatte es gedauert, es war sofort wieder erloschen, überdeckt vom matten Schleier des Abschiedsschmerzes. Doch Montalbano hatte Zeit genug gehabt, diesen wenn auch schwachen Blitz wahrzunehmen und sich über ihn zu wundern. Hatte Livia etwa die gleichen widersprüchlichen Gefühle gehabt wie er, als sie sich umarmten? War sie auch traurig über die Trennung und gleichzeitig begierig, wieder frei zu sein? Zuerst ärgerte er sich, dann musste er lachen. Wie hieß noch mal der lateinische Satz? Nec tecum nec sine te. Nicht mit dir und nicht ohne dich. Genau so war es.
»Montalbano? Ich bin’s, Munitolo.«
»Ciao. Habt ihr von Susanna irgendwas Brauchbares erfahren?«
»Montalbà, das ist das Problem. Sie konnte uns nicht viel sagen, sie ist noch ganz durcheinander, ist ja logisch, und hat nicht geschlafen, seit sie wieder da ist.«
»Wieso hat sie nicht geschlafen?«
»Weil sich der Zustand ihrer Mutter verschlechtert hatte und Susanna ihr keinen Augenblick von der Seite weichen wollte. Und als ich heute Morgen angerufen wurde, dass Signora Mistretta letzte Nacht gestorben ist, wollte ich …«
»… die Gelegenheit sehr taktvoll beim Schopf ergreifen und gleich zu Susanna fahren, um sie zu befragen.«
»Montalbà, so was tue ich nicht. Ich bin hingefahren, weil ich das angebracht fand. Ich war so viel in diesem Haus …«
»… dass du mittlerweile zur Familie gehörst. Toll. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du mich anrufst.«
»Die Beerdigung findet morgen Vormittag
Weitere Kostenlose Bücher