Commissario Montalbano 08 - Die Passion des stillen Rächers
kam näher.
»Denn der Gedanke, sich an Ihrem Onkel, dem Ingenieur, zu rächen, hat dort Gestalt angenommen, in einer jener schrecklichen Nächte, die Sie bei Ihrer Mutter verbrachten. Nicht wahr, Susanna? Anfangs mochten Sie den Gedanken für ein Ergebnis der Müdigkeit, der Entmutigung, der Verzweiflung halten, doch dann ließ er sich kaum mehr beiseite schieben. Sie begannen, beinahe zum Zeitvertreib, darüber nachzudenken, wie diese fixe Idee in die Tat umzusetzen wäre. Sie haben den Plan Nacht für Nacht weiterentwickelt. Sie baten Ihren Onkel um Hilfe, weil Sie …«
Halt. Du darfst nicht sagen, warum. Der Grund dafür ist dir in diesem Augenblick eingefallen, denk erst mal darüber nach, bevor du …
»Sprechen Sie es ruhig aus«, sagte der Doktor mit leiser, aber fester Stimme. »Weil Susanna begriffen hatte, dass ich Giulia schon immer geliebt habe. Eine Liebe ohne Hoffnung, die mich jedoch daran gehindert hat, ein eigenes Leben zu führen.«
»So waren Sie, Dottore, gleich dabei, als es darum ging, Peruzzos Image zu zerstören. Die Öffentlichkeit haben Sie dabei bestens genutzt. Und der Todesstoß bestand darin, dass der Koffer mit dem Geld gegen eine Tasche voller Altpapier ausgetauscht wurde.«
Es begann zu nieseln. Montalbano stand auf.
»Ich gehe jetzt, aber ich kann nicht ruhigen Gewissens zulassen …«
Seine Stimme klang allzu feierlich, aber er konnte es nicht ändern.
»Ich kann nicht ruhigen Gewissens zulassen, dass Sie die sechs Milliarden …«
»… behalten?«, führte Susanna den Satz zu Ende. »Das Geld ist schon weg. Wir haben nicht mal die Summe behalten, die meine Mutter verliehen und nie zurückbekommen hat. Zio Carlo hat sich mit Hilfe eines Patienten darum gekümmert, der kein Wort darüber verlieren wird. Das Geld wurde aufgeteilt und zum Großteil schon ins Ausland transferiert. Es kommt rund fünfzig Hilfsorganisationen zugute, anonym. Ich kann Ihnen die Liste zeigen, wenn Sie wollen.«
»Gut«, sagte der Commissario. »Ich gehe jetzt.«
Schemenhaft sah er, dass auch Mistretta und Susanna aufstanden.
»Kommen Sie morgen zur Beerdigung?«, fragte Susanna. »Ich würde mich freuen, wenn …«
»Nein«, sagte der Commissario. »Ich wünsche mir nur, dass Sie, Susanna, meine Hoffnung nicht enttäuschen.«
Er merkte, dass er wie ein alter Mann redete, aber das war ihm jetzt egal.
»Viel Glück«, sagte er leise.
Montalbano drehte sich um, ging zu seinem Auto, setzte sich ans Steuer und fuhr los, doch vor dem geschlossenen Tor musste er noch einmal anhalten. Susanna lief durch den mittlerweile strömenden Regen ans Tor, ihr Haar schien Feuer zu fangen, als sie vom Scheinwerferlicht erfasst wurde. Sie wandte sich nicht zu Montalbano um, als sie öffnete. Und auch er sah sie nicht an.
Auf dem Weg nach Marinella regnete es wolkenbruchartig. Er musste anhalten, weil die Scheibenwischer nicht mehr nachkamen. Dann hörte der Regen plötzlich auf. Als Montalbano das Esszimmer betrat, sah er, dass er die Verandatür offen gelassen hatte und der Boden nass geworden war. Das würde er gleich aufwischen. Er schaltete das Außenlicht an und trat hinaus. Der strömende Regen hatte das Spinnennetz weggespült, die Zweige waren blitzblank und hingen voll funkelnder Wassertropfen.
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