Commissario Montalbano 11 - Die Flügel der Sphinx
Lapis ihr den Vorschlag gemacht hätte, uns alle zusammen nach Montelusa zu bringen, wo sich eine Wohltätigkeitsorganisation um uns kümmern wollte und uns Jobs als Altenpflegerinnen, Haushaltshilfen und Putzfrauen verschaffen würde. Eine ehrliche Arbeit mit möglichen Perspektiven.«
»Und wer hätte die Schulden bei der Agentur beglichen?«
»Lapis sagte, darum brauchten wir uns keine Sorgen zu machen, er würde sich mithilfe seiner Freunde darum kümmern.« Mafiafreunde, klar.
»Tatsache ist«, fuhr Katia fort, »dass unsere Familien in Russland keinen Repressalien ausgesetzt waren. Das genau war es nämlich, womit uns die von der Agentur immer wieder gedroht hatten: Wenn eine von euch abhaut, wird eure Familie dafür bezahlen.«
»Kurz gesagt: Ihr habt den Vorschlag von Lapis angenommen.«
»Ja. Aber Lapis wollte, dass wir uns selbst beim »Guten Willen« vorstellen und sagen, wir kämen ganz spontan zu ihnen, nicht auf seine Empfehlung hin. Und er wies uns an, nicht alle auf einmal dort hinzugehen.« Das war klar: Lapis wollte nicht selbst als Kopf und Organisator der Gruppe erscheinen.
»Warum waren Sie und Irina bei Ihrer Ankunft so eingeschüchtert?«
»Wir?!«, fragte Katia so überrascht, als wäre sie unter die Türken gefallen.
Anscheinend handelte es sich hier um ein frei erfundenes Detail, das Cavaliere Piro einfach hinzugefügt hatte. »Und dann, nach Ihnen beiden, kam Sonia?«
»Ja.«
»Hieß die vierte Ihrer Kameradinnen zufällig Zin?«
»Zinaida Gregorenko, ja.«
»Wie kommt es, dass sie sich nicht mit euch beim »Guten Willen« vorgestellt hat?«
Katia sah ihn völlig verblüfft an.
»Natürlich hat sie das. Sie ist als Vierte angekommen!«
Aber das hatte Cavaliere Piro ihm nicht gesagt. Folglich steckte der Cavaliere bis zum Hals drin.
»Und was geschah dann?«
»Dann geschah Folgendes: Am Tag, nachdem wir alle vier wieder beisammen waren, nahm Signor Lapis uns beiseite. Er sagte uns, was er vorhatte. In den Wohnungen und Häusern, in die wir gehen würden, sollten wir die Augen offenhalten und sehen, ob es dort Juwelen oder Geld gab, und sie dann im geeigneten Augenblick stehlen und verschwinden. Danach würde er dafür sorgen, dass wir woanders hinkämen, und er würde das Zeug zu Geld machen. Wer den Diebstahl beging, sollte ein Viertel vom Erlös abbekommen.«
»Habt ihr das akzeptiert?«
»Sonia sofort. Aber ich glaube, die hatte mit ihm schon eine Absprache, bevor sie aus dem Nachtclub wegging. Danach sagten auch Irina und Zin Ja. Und ich habe auch Ja gesagt.«
»Warum?«
»Wo sollte ich denn ohne die anderen Mädchen hin? Es war wichtig, dass wir zusammen waren. Doch ich gab mir selbst das Versprechen, dass ich bei der erstbesten Gelegenheit abhauen würde. Das habe ich getan, und ich habe auch niemals gestohlen. Dann hörte Zin ebenfalls damit auf, aber aus anderen Gründen.«
»Welchen?«
»Sie hatte sich verliebt und wollte mit dem Mann zusammenleben, den sie liebte.«
»Und wie hat Lapis reagiert?«
»Schlimm. Aber er konnte nichts machen. Denn der Mann, mit dem Zin zusammen war, war ein gefährlicher Krimineller und hatte ihm gedroht, alles der Polizei zu erzählen.«
»Haben Sie gleich gewusst, dass es sich um Sonia handelte, als man im Fernsehen über das Mädchen berichtete, das an der Müllkippe gefunden worden war?«
Katia bekam große Augen.
»Sonia?!«
»Ist sie's nicht?«
»Nein, es ist Zin, die ermordet wurde!« Diesmal war es Montalbano, der große Augen bekam. »Aber war Zin denn inzwischen nicht ausgestiegen?«
»War sie. Aber sie brauchte Geld, um den Rechtsanwalt ihres Geliebten zu bezahlen, der ins Gefängnis gekommen war. Und Lapis nutzte die Gelegenheit, um sie wieder zurückzuholen. Er besorgte ihr einen Job in einer Gebäudereinigungsfirma. Zin hatte den Auftrag bekommen, auch die Wohnung jenes Ladenbesitzers zu putzen, und mit der Zeit fiel ihr auf, dass er viel Geld in der Wohnung hatte, vor allem an den Samstagabenden. Zin stellte allerdings eine Bedingung: dass Lapis sich nach Erledigung dieses Auftrags nie mehr bei ihr melden sollte. Doch stattdessen …« Zwei dicke Tränen quollen ihr aus den Augen. Don Antonio legte ihr für einen Augenblick eine Hand auf die Schulter.
»Aber wie haben Sie das alles herausgefunden?«
»Hin und wieder rufe ich Sonia an.«
»Aber, entschuldigen Sie, Sonia könnte doch die Herkunft des Anrufs zurückverfolgen.«
»Wenn ich mit ihr sprechen will, benutze ich immer öffentliche
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